Solidarischer Muskatkürbis – Salzzitrone – Muskovado – Rosa Pfeffer
Solidarischer Muskatkürbis – Salzzitrone – Muskovado – Rosa Pfeffer
Ein Gericht steht im Mittelpunkt der Reihe „The Dish“. Ein Gericht, das geschmacklich und konzeptionell heraussticht, und für das jeweilige Restaurant steht. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter? Was hat sich der Koch dabei gedacht? Woher stammen die Zutaten. Ein Deep Dive in den Teller quasi.
Ob Muskat- Hokkaidokürbis oder Flower-Sprouts - was Heiner Bohnet bei der solidarischen Landwirtschaft in Neuenstein jede Woche selbst erntet, bestimmt die Speisekarte. Zu Kürbis und Kohl kombiniert er kongenial Salzzitrone und Rosa Beeren. So viel Wertschätzung für Gemüse findet man nur selten, deshalb für mich klar „the dish“ des Abends.
Um ein Haar wären Bohnet und seine Partnerin Constanza Piccolo in der hochdekorierten japanischen Dependance des französischen Spitzenkochs Michel Bras gelandet, doch dann durchkreuzte Corona die Pläne der beiden – Zum Glück für die mit gehobener Küche wenig gesegneten Genießer der nahe gelegenen Stadt Heilbronn. Über den Vermieter ihrer Wohnung wurden die beiden auf ein Traditionsrestaurant in der Heimatregion des Kochs aufmerksam, das seit 1786 für Gastfreundschaft steht: Die goldene Sonne in Neuenstein. Der wohlige Tradition ausstrahlende Gastraum wurde vom Bildhauer Hermann Koziol als hölzernes Gesamtkunstwerk gestaltet, die Stühle handgeschnitzt. Die entspannte Atmosphäre wird durch die offene Freundlichkeit der ursprünglich aus Buenos Aires stammenden Sommeliére Constanza Piccolo noch verstärkt – hier fühlt man sich auf eine unaufgeregte Art willkommen. Die kleine, aber handverlesene Weinkarte, wechselt mit dem Menü und enthält Weine aus der Region, aber unter anderem auch Tropfen aus der argentinischen Heimat.
Die vier Jahre bei der französischen Kochlegende Michel Bras haben Bohnet stark geprägt, vor allem der innovative und kreative Umgang mit Gemüse und Kräutern, die Wertschätzung für Produkte – und Produzenten. Neben dem Gemüse von der solidarischen Landwirtschaft, setzt er auf die Verarbeitung ganzer Tiere aus der Region und Kräuter aus den eigenen Hochbeeten. Ganz automatisch bestimmen so Verfügbarkeit und Saison, was im 5-gängigen Menü landet. Dieses wechselt übrigens jede Woche und – darauf ist der junge Koch stolz – kommt seit der Eröffnung im Mai 2022 ohne eine einzige Wiederholung aus.
Nach Wiederholung schreit allerdings das heute im Mittelpunkt stehende Gericht: Ein großzügiges Stück geschälter Muskatkürbis wandert für die Vorspeise zusammen mit Salz, Zitronenschale und Nelke in den Vakuumbeutel und wird schonend bei 90 Grad gegart. Damit die Aromen in den saftigen und kaum mehligen Kürbis ziehen können, darf er anschließend im Kühlschrank einige Tage reifen und wird dann kalt serviert.
Aus dem stärkehaltigen Hokkaido-Kürbis stellt Bohnet eine Creme her, die er mit Muscovado-Zucker würzt. Die dunklen, malzigen Töne des Rohrzuckers mit hohem Melasseanteil, geben dem Gericht Tiefe und einen perfekten Gegenspieler für die säuerlich frische Salzzitrone. Für diese bestellt er vom Baum reif geerntete Bio-Zitronen direkt beim Bauern und fermentiert diese dann mehrere Monate mit Salz. Die Schale kommt in drei größeren Streifen auf den Kürbis und sorgt für gezielte Akzente, für die eher subtile Emulsion unter dem Kürbis wird die ganze Zitrusfrucht verwendet.
Knusprigkeit bringt Bohnet durch schonend bei niedriger Temperatur frittierte Flower-Sprouts, einer Neuzüchtung aus Grünkohl und Rosenkohl. Textur bringen auch die Rosa Beeren, die sich so üppig auf dem Teller befinden, dass es auf den ersten Blick irritiert. Doch der erste Eindruck täuscht: Die fruchtigen Beeren, die übrigens nicht mit echtem Pfeffer verwandt sind, fügen sich durch zitrische (Salzzitrone) und holzige Noten (Nelken am Kürbis) perfekt in das Gesamtkonzept ein. Hauchdünn geschnittene Kaffirlimettenblätter sorgen schließlich für eine weitere Komplexitätsebene. Ein schlau komponiertes und in den Proportionen perfekt abgestimmtes Gericht, bei dem jeder Bissen anders, aber immer vorzüglich schmeckt. Damit konnten, das sei für das Selbstbewusstsein des Kürbisses gesagt, die folgenden Fisch- und Fleischgänge nicht ganz mithalten – auch wenn diese wirklich ebenfalls hervorragend waren.
Bleibt festzuhalten: Wenn man während der Hälfte des Menüs schon den Kalender zückt, um zu überlegen, wann man das nächste Mal einen Tisch reservieren möchte, dann haben Küche und Service alles richtig gemacht!
Heiner Bohnet
Goldene Sonne
Vorstadt 2
74632 Neuenstein
Text und Foodfoto: Tobias Henrichs
Instagram: @tobias__henrichs