Nils Henkel - FLORA

Nils Henkel - FLORA
Das Gemüse ist der Star.

Heute halte ich es endlich in den Händen, das neue Kochbuch von Nils Henkel. Flora heißt es.
Aufgrund des doch recht hohen Preises habe ich eine Weile mit mir gehadert, aber dann doch entschieden, dass es nicht sein könne, dass der wunderbare Nils Henkel ein neues Kochbuch herausbringt, welches ich nicht lese. Zumal ich von seinem ersten Buch, Pure Nature, mehr als begeistert war und bin.
Hier dachte ich erst, ok, ein vegetarisches Kochbuch....auch wenn ich oft und gerne fleischlos koche, aber dennoch esse ich gerne Fleisch. Aber dieses Vorurteil über das Buch wird schon gleich zu Beginn relativiert. Es geht Herrn Henkel hier nicht darum, vegetarisch zu kochen, sondern das so oft als Nebensache behandelte Gemüse, welches er selbst doch so liebt, in den Vordergrund zu heben. Ungeachtet der Tatsache, dass inzwischen wirklich zuviel Fleisch gegessen wird, und dies zu oft aus Massentierhaltung, weil eher auf den Preis als auf die Qualität geachtet wird.
Was ich persönlich auch sympathisch finde, ist der Satz "Ich bin immer neugierig und aufgeschlossen für neue Produkte, daher ist Regionalität bei mir kein Dogma". Wie oft wird die Regionalität groß auf die Fahne geschrieben, weil es Mode ist und gut ankommt, aber doch als sehr weit gedehnter Begriff gesehen.
Man liest noch kurz, wie dieses Buch zu handhaben ist, die Erlaubnis des Weglassens und Austauschens wird erteilt - viele sehen ja ihre Gerichte als Gesamtkunstwerk, an dem nichts verändert werden sollte. Mengenangaben sind, wie schon im ersten Buch, in präzisen Grammangaben, auch die Flüssigkeiten.
Und schon begibt man sich in den Rezeptteil. Auch das mag ich, ein paar wenige Seiten zur Einleitung, gern auch mal ein Text zwischendurch, aber grundsätzlich ein Kochbuch mit vielen Rezepten. So finden sich hier auf rund 90% der 320 Seiten spannende, ausgeklügelte Rezepte, mal puristischer mal hochkompliziert und aufwendig.
Schon gleich auf den ersten Seiten weckt die Feldsalatkugel mit Tonburi-Kaviar und Limonenbaiser meine Begeisterung. Da ich mich mit molekularer Küche kaum auskenne, muss ich hier aber schon gleich 2 Zutaten googeln, aber das ist ja auch schnell erledigt. Aber das waren dann auch die einzigen Zutaten, nach denen ich erstmal forschen musste. Gleich einige Seiten später taucht er auch wieder auf: der Pacojet. Den findet man vermutlich in den wenigsten Hobbyküchen, verständlich bei einem Anschaffungspreis von mehreren tausend Euro. Auch in meiner Küche steht solch ein Gerät leider nicht, aber da muss man eben etwas improvisieren mit Pürierstäben, Sieben usw..
Wie immer, kann ich natürlich nicht alle diese wunderbaren Rezepte und Kombinationen namentlich erwähnen, auch wenn sie es verdient hätten, inkl. der verführerischen Fotos von Wonge Bergmann.

Verlorenes Eigelb, Sauerteig, Kräuter
Grob eingeteilt ist das Buch in 6 Kapitel. Beginnend mit "Brot&Butter" geht es weiter zum "Prolog", ich würde es mal salopp als Appetizer bezeichnen, was einen hier erwartet. Beispielsweise die bereits erwähnten Feldsalatkugeln sind hier in einem klaren Rezept (jetzt weiß ich ja, was Iota und Citras sind) beschrieben, etwas zeitintensiv, aber machbar. Das folgende Kapitel, "Flora salzig" beherbergt die herzaften Gänge. 58 fantastisch dreinschauende Teller und Gemüsekunstwerke, wie z. B. das "Verlorene Eigelb mit Sauerteig, Radieschen und Wiesenkräutern" . Auch der "Grüne Spargel mit Misocreme, schwarzem Sojaschaum und Umeboshi" spricht mich gleich an. Nicht nur optisch, sondern auch die Zutatenkombination intetessiert mich sehr, zumal ich mich gerade erst daran versucht habe, Umeboshi selbst herzustellen - erfolgreich, glaubt man meiner japanischen Kollegin. Dieses Rezept, wie alle anderen natürlich auch, klingt schon sehr lecker! Jetzt weiß ich, dass man Sojasauce auch als gefriergetrocknete Kristalle kaufen kann... man lernt ja nie aus, die muss ich mir unbedingt besorgen!
Auch gleich ins Auge springt mir das Rezept "Kraut & Rübchen, mit Wachtelsoleier, Kümmelsud und Trompetenpilzen", zum leckeren Rezept gibt's natürlich auch hier ein sehr verlockendes Foto.

Grüner Spargel, Schwarzwaldmiso, Umeboshi
Diesem Kapitel folgen die Rezepte zu "Flora süß". Hier sind eher die Früchte die Stars, nicht unbedingt das Gemüse, aber Letzteres ist auch dennoch oft mit von der Partie, wie beispielsweise bei der Ananasreinette mit Brombeere, Toffee-Chicorée-Eis und Muscovado. Spannend! So auch "Erdnuss/Blumenkohl/Couscous/Sanddorn", ein süßer Teller ganz nach meinem Geschmack, zumal die u.a. verwendeten Gewürze Ras el Hanout und Piment d'Espelette zu meinen Lieblingsgewürzen gehören. Machbar ist dieser Teller auf jeden Fall, allerdings muss man einiges an Zeit mitbringen und für manche Komponenten schon am Vortag, für andere etliche Stunden vor dem Anrichten mit den Vorbereitungen beginnen. Geschmacklich wird es sich definitiv lohnen! Auch für die "geschmorte Quitte mit Topinambur, Femme de Virunga und Honigkuchen" oder das "Rote Perillasorbet mit Gewürzananas", womit man aber für die Ingwermacarons ebenfalls am Vortag beginnen sollte. Das Rezept dazu befindet sich im kurzen Kapitel "Epilog", die Ingwermacarons bei den Grundrezepten, die dem Epilog auf rund 70 Seiten folgen. Unzählige Grundrezepte, auf die durch das komplette Buch hinweg immer wieder dort verwiesen wird, wo eine der Zubereitungen für einen Teller benötigt wird. Aber wer denkt, hier findet man die standardmäßigen Rezepte für Geflügelfond, Gemüsebrühe und dergleichen, irrt. Fichtennadelstyropor, Algen-Minutenbisquit, Milchhautchip, Sonnenblumenmurmeln, Heumilcheis und Vieles mehr findet man hier in klarer, kurzer Anleitung.
Das Ende dieses dicken Kochbuchs bilden noch etliche Seiten Glossar, eine Aufzählung und teilweise Beschreibung der benötigten/empfohlenen Geräte und Utensilien und noch 2 Seiten über "Produkte & Partner".
Und den letzten Schluss bilden 2 Seiten über Nils Henkel und seine Teams im Restaurant Lerbach und im Restaurant Schwarzenstein.
Fazit: Ein hochwertig verarbeitetes Buch, das nicht penetrant vegetarisch sein möchte, sondern dem Gemüse mehr des wohlverdienten Raums auf der Star-Tribüne lassen bzw. geben möchten. Und dies sehr gekonnt, kein schnödes "wir lassen einfach das Fleisch weg"-Buch. Auch wenn es tatsächlich durchgehend vegetarische Rezepte sind, auch die Dashibrühe. Bei Käse, insbesondere Parmesan, scheiden sich ja die vegetarischen Geister, aber wie gesagt, Hauptziel des Buches ist eben nicht, unbedingt vegetarisch sein zu wollen.
Ein Kochbuch für Profis und Hobbyköche, mit klaren, präzisen, umsetzbaren Rezepten und verlockenden Fotos, die das Durchlesen zur Freude machen mit viel Lernpotential für Verarbeitungs- und Zubereitungsmethoden. Ich bin froh, mich trotz des hohen Preises doch FÜR dieses Buch entschieden zu haben. Blutige Anfänger könnten schnell überfordert sein, ich kann dieses Meisterstück aber jedem fleißigen, versierten, passionierten und/oder interessierten (Hobby-) Koch nur wärmstens empfehlen!
FLORA
Nils Henkel
Hampp Verlag GmbH,
1.Auflage September 2021
320 Seiten
ISBN: 978-3-942561-48-8
95€
Text: (c) Peter Zenner -> Instagram: https://www.instagram.com/peter_zenner
Bilder: (c) Wonge Bergmann/ Montage