Jan Hartwig - Labor der Liebe
Jan Hartwig - Labor der Liebe
Wieder einmal kommt man zu dem Schluss oder zumindest zu dem Eindruck, aller kulinarischer Ursprung liegt bei Eckart Witzigmann. Und dass durch eines seiner Rezepte in einem Tantris-Kochbuch von 1978 neue kulinarische Geschichte geschrieben werden kann, beweist der Werdegang von Jan Hartwig. Denn die unbeschreibliche Leidenschaft von Jan Hartwig am Herd beginnt quasi mit Witzigmanns Rinderfilet in Châteauneuf-du-Pape, zubereitet von Hartwigs Vater aus eben diesem Tantris-Kochbuch.
Und seit vorgestern (12.12.) ist nun SEIN erstes reines Kochbuch auf dem Markt. Schon vor Monaten habe ich es vorbestellt, um auf jeden Fall ein Exemplar zu ergattern:
Jan: Labor der Liebe. Die Sterneküche Jan Hartwigs.
Gleich schon im Vorwort von Jan Hartwig wird einem die Sorge, man könne an den Rezepten des Starkochs scheitern, genommen. Viele sollen auch einfach mal Denkanstöße und Inspirationen liefern. Bei aller intensiven Hingabe und Liebe, mit der die Rezepte entstanden sind und dem sehr hohen Niveau, kommt natürlich dennoch eine gewisse Erfurcht auf. Aber um ein Zitat von Hartwigs Vater anzubringen:"Erfahrung ist der beste Koch" - dann werd ich mich mal daran versuchen und Erfahrungen sammeln, um selbst auch ein besserer Koch zu werden!
Ganz toll schon in den "Grundlegenden Informationen zu meinen Rezepten" finde ich nicht nur die liebevolle Ermutigung, sondern auch gleich mal klare Ansagen. Nämlich zur zu verwendenden Eiergröße (M), dem erwünschten Fettanteil von Sahne (34%, in meinem Einkaufs-Umfeld schon etwas schwieriger) und einige weitere klare Ansagen, nicht einfach nur "1 Ei" oder "Sahne".
Und schon geht's los mit den Rezepten. 12 Kapitel erwarten mich. Nach Durchlesen der ersten Kapitel (Snack, Amuse-Bouche und Vorspeisen) bin ich schon hocherfreut und begeistert: keine Zutaten, die ich nicht kenne, keine Zutaten, die ich nicht besorgen könnte, wenn auch sicher nicht in der Qualität, in der sie ein Jan Hartwig verwenden würde. Ohne das ein oder andere besondere Pülverchen geht's aber auch hier nicht zu und zugegebenermaßen musste ich zum Beispiel "Sot-L'y-Laisse" vom Snack "Pastete, Sot-l'y-laisse & Champignons" in eine Suchmaschine eingeben, kann aber vermelden, dass ich nicht der "Narr bin, der es lässt", sondern das "Pfaffenstückchen", ein etwas dunkleres filetartiges Stückchen aus dem Rücken, durchaus zumindest schon wahrgenommen habe und es zu schätzen weiß. Wer nicht googeln möchte, erfährt es eine Seite später in einem Kommentar von Jürgen Dollasse, der auch einen schönen Text zum Eingang über Jan Hartwig und seine Kunst geschrieben hat. Es gibt übrigens zu JEDEM einzelnen Teller ein Kommentar, sowohl von Jan Hartwig selbst als auch von Jürgen Dollasse.
Der Thermomix ist inzwischen ja in fast jeder Küche zum Standard geworden, oft, und so nutze ich ihn auch, vorallem zum Mixen. Was nach wie vor kein Standard in unseren Küchen zuhause ist, ist der Pacojet. Auf Seite 40 tritt er zum ersten Mal in Erscheinung, bei "Wachtelei, Zwiebel, geräucherte Spinatcrème, Mandeln, Parmesan & knusprige Hühnerhaut". Aber sein Einsatz im Buch hält sich im verkraftbaren Rahmen, und dort muss ein nichtpacossierender Hobbykoch wie ich dann eben improvisieren.
Das Lesen macht aber richtig Spaß. Ja, der im Vorwort angekündigte Zeitaufwand ist klar zu erkennen, aber ebenso klar sind auch die Anleitungen, wie jede einzelne Komponente hergestellt und zubereitet werden soll.
Inzwischen bin ich beim Fisch, und da springt mir die "Felsenrotbarbe mit fermentiertem Knoblauch, Couscous, Joghurt & Plankton" gleich ins Auge. Schlicht, elegant und doch ein Kunstwerk. Und wenn man die Tomaten für das Tomatenwasser am Vortag aufhängt und entsprechende Fischkarkassen für den Fischfond bekommt, scheint es auch im zeitlich machbaren Rahmen zu bleiben, den auch ich in Bälde wieder haben könnte.
Es juckt mir regelrecht in den Fingern, diese Rezepte im Buch nachzukochen, auch auf ein leckeres Weizensauerteigbrot daraus freue ich mich!
Lese ich weiter, stoße ich im Kapitel "Fleisch-Zwischengang" auf ein Gulasch mit Kalbsbäckchen, Polenta und karamellisiertem Kraut. Dazu kommt noch Paprikacreme und Sauerkrautschaum. Das verführt zum Nachkochen! Gulasch kennt der Bauer, in dem Fall ich, da traut er sich auch mal ran. Aber Scherz beiseite, bisher hat durch die unkomplizierten Anleitungen kein Teller schon auf den ersten Blick den Eindruck erweckt, "Um Gottes Willen, wer soll denn das nachkochen können!"
Und da bin ich inzwischen bei den Hauptgängen angelangt! Ente, Lammrücken, Wachtelbrust, Taube, Kalbsbacke, Spanferkelrücken - woran versucht man sich zuerst, bzw. welcher Versuchung gibt man sich zuerst hin?! Es tauchen nun zwar langsam auch eher mal Zutaten auf, die man als Normalkochender nur schwierig, aber nicht unmöglich, beschaffen kann. Aber es geht hier ja auch nicht um leckere Wirtshausküche vom Wirt von nebenan! Einiges relativiert sich auch von selbst, sieht man zum Beispiel im Käsekapitel, dass für besondere Käseschmankerl auch Alternativen genannt werden, die deutlich leichter zu beschaffen sind. Sehr interessant schaut und klingt beispielsweise der Chiriboga daher. Nie gehört, aber man könnte alternativ Gorgonzola verwenden, da hat man zumindest schonmal ein Geschmacksbild im Kopf. Kombiniert wird mit Umami-Pulver mit kandierter Kombu und Salzsellerie, Himbeergelee und Portweinreduktion. Welch eine Geschmacksexplosion muss das sein!
Und schon bin ich bei den Desserts und Petit Fours. Da denke ich gleich an einen Pâtissier, den ich bei einem Praktikum an anderer noblen Adresse in München kennenlernen durfte und ich die Ehre und Freude hatte, dass er mir Vieles gezeigt hat und mir soweit vertraut hat, dass ich Vieles auch selbst machen durfte. Der liebe Tobias arbeitet jetzt bei und mit Jan Hartwig, vielleicht war er ja an mancher Kreation in diesem Buch beteiligt. Nach beeindruckenden süßen Genüssen wie Bienenstich und Schwarzwälder Kirsch, beides weit entfernt vom Gewohnten, oder der karamellisierten Opalys Ganache mit schwarzer Olive, Zitrus & Ingwereis und diversen umwerfenden Petit fours, folgen nun noch die Grundrezepte.
Ich muss ja gestehen, seinen Geflügelfond bereite ich inzwischen selbst genau so zu, seit ich das auf anderer Plattform als "Masterclass" von Jan Hartwig gesehen habe und mich der erste Versuch dessen nicht nur überzeugt, sondern begeistert hat. So finden sich hier viele nützliche Rezepte, auch natürlich nützlich zur Umsetzung der vielen tollen Rezepte im Buch. Selbst solch vermeintliche Banalitäten wie Blanchierwasser. Aber das trägt auch dazu bei, "idiotensicher" zu sein und verdeutlicht die Liebe zur Perfektion. 16g Meersalz auf 1 Liter Wasser, nicht mehr und nicht weniger! Auch für Rezepte von Den-Miso, Kläransatz, Specköl und Tomatenmark wird man hier fündig.
Bevor man sich ganz von diesem wunderbaren Buch verabschieden muss, kommt noch eine Seite mit Danksagungen, und dann ist man nach 246 Seiten auch leider schon durch.
Mein Fazit: Wer Freude an der gehobenen Küche hat und bereit ist, unter Umständen viel Zeit in deren Zubereitung zu investieren, MUSS sich dieses Buch zulegen! Vielen Dank, lieber Herr Hartwig, für die Lesefreude (und die ihr folgende Freude am Herd), die Sie mir mit diesem Buch bereitet haben - und sicher auch sehr vielen anderen Käufern Ihres wunderbaren Meisterwerks!
Jan: Labor der Liebe. Die Sterneküche von Jan Hartwig
Matthaes Verlag
ISBN 978-3985410644
1. Auflage 12. Dezember 2023
246 Seiten
78€
Fotos: Pieter D'Hoop
Text: Peter Zenner