Zu Gast im Délice, Stuttgart
Zu Gast im Délice, Stuttgart
Koch & Kellner 2.0
Hätte das Restaurant Délice in Stuttgarts Innenstadt keine komplett offene Küche, würden viele Gäste wahrscheinlich eine Armada an Köchen hinter den Kreationen vermuten. Die Wahrheit ist, dass sich ein Alleinkoch und ein Spitzensommelier hier die Klinke in die Hand geben und die Gäste durch den Abend führen. Wir haben Stuttgarts bestes Kellerlokal im Frühjahr erneut besucht und direkt noch mehr ins Herz geschlossen. Hier ist unser Bericht.
"Guten Abend, darf ich heute für Sie kochen?" Mit diesen Worten tritt Spitzenkoch Andreas Hettinger an die Tische heran. Die Frage kann man durchaus wörtlich nehmen, denn Hettinger steht vollkommen alleine in seiner offenen Küche und kocht auf zwei Herdplatten für rund zwanzig Gäste am Abend. Das Menü wird täglich neu geschrieben, dabei nimmt der Spitzenkoch den Begriff Marktküche wörtlich wie kaum ein anderer. Jeden Morgen schlendert er in der wenige hundert Meter entfernten Stuttgarter Markthalle umher, immer auf der Suche nach saisonalen Spitzenprodukten von maximaler Frische und Qualität. Währenddessen köcheln Fonds und reduzieren Soßen in seiner kleinen Küche.
Andreas (Andrej) Hettinger wuchs im heutigen Kasachstan auf und kam mit 11 Jahren nach Deutschland. Seit 2014 ist er Alleinkoch im Restaurant Délice. 2016 folgte der erste MICHELIN-Stern, was angesichts der zuvor absolvierten prominenten und beindruckenden Stationen auch wenig verwunderlich war. So kochte Hettinger als Sous Chef und Chef Patissier unter Bernhard Diers in der bekannten Stuttgarter Zirbelstube (damals 2 MICHELIN-Sterne) zwischen 2011 und 2013. Zuvor war er Sous Chef in der Villa Hammerschmiede in Pfinztal (1 MICHELIN-Stern).
Der Mann, welcher ihm hinter dem Herd alle Freiheiten einräumt, ist Evangelos Pattas, der Inhaber und Gastgeber des Restaurants seit 2010. Pattas (60) kommt ursprünglich von Rhodos und zog mit seinen Eltern nach Brüssel, wo er eine Ausbildung zum Koch begann und diese später in London in einem Sternerestaurant abschloss. Dort begann seine Faszination für Wein. Fortan arbeitete er in den besten Häusern im Service und wurde Sommelier. 2007 kürte ihn der Gault Millau zum Sommelier des Jahres.
Hier haben sich definitiv zwei gefunden.
Auch das Setting ist durchaus nicht alltäglich, beinahe eine kleine Zeitreise. Nahe der Innenstadt, befindet sich das Restaurant im Gewölbekeller, welchem man über einen kleinen Innenhof erreicht. Die steinerne Treppe führt den Gast in ein geschmackvoll dezent ausgeleuchtetes Kellerlokal mit viel Retrocharme. Kobaltblaue Stielgläser, weiße Tischdenken und kirschrote Kissen sorgen für Farbakzente, während die Einrichtung ansonsten eher monochrom schlicht mit Brauntönen (Mauer und Sitzbezüge) ausgestaltet ist.
Herzstück des Raums ist die offene Küche, welche in eine Art Theke eingefasst ist. Wir nehmen genau daneben Platz. Von hier aus kann man wunderbar hinter die Kulissen blicken.
Natürlich entscheiden wir uns für das volle Programm (5 Gänge / € 135,-- p. P.) und sind gespannt, was heute aufgefahren wird. Das wird nämlich nur auf explizite Nachfrage verraten. Die Auswahl der Getränke legen wir vertrauensvoll in Evangelos Pattas' Hände.
Traditionell und old-school folgen die ersten Grüße aus der Küche als klassische Löffeldegustation. Ein Zylinder mit einem perfekt abgeschmeckten Rindertartar, etwas Dijonsenfcreme und etwas Basilikum, sowie ein wunderbar gebeiztes Stück Lachs mit Avocadocreme sind bereits dermaßen auf dem Punkt, dass es eine wahre Freude ist. Man merkt sofort, dass hier nicht allzu viel Wert auf Firlefanz gelegt wird.
Danach folgt noch ein heißes Sellerie-Süppchen, welches mit Olivenöl und feiner Curry-Note arrondiert wurde, und ohne Sahne oder Butter auskommt. Nicht weniger wie hervorragend.
Der erste offizielle Menügang des Abends ist ein Türmchen aus Hummerstücken (Hummerroulade), einem Karotten-Flan, sautiertem Grünkohl, und einem leicht säuerlich angemachten Kräutersalat. Hinzu kombiniert er eine Gewürzmayonnaise und eine intensive, aufgeschäumte Krustentiersoße. Der Hummer ist wundervoll zart und glasig gegart und schmeckt wunderbar süßlich und nussig. Der aromatische Ansatz dieses Gerichts ist dabei schlichtweg brillant, da Üppigkeit, geschmackliche Tiefe, Salzgehalt und Texturen wunderbar aufeinander abgestimmt sind und einer geschickten räumlichen Trennung unterliegen., so dass der Hummer immer im Vordergrund steht. Ohne Probleme eines der besten Hummergerichte der letzten Jahre. Große Klasse!
Hettinger kombiniert mit viel Feinsinn weiter und serviert eine schneeweise, perfekt glasig gegarte Tranche Kabeljau mit einem säuerlich angemachten Fenchelsalat, knackigen gerösteten Haselnüssen und einer mit Ponzu abgeschmeckten Sauce. Als Podest für den Fisch dient ein Kartoffel-Knoblauch-Püree. Auch hier sind die Aromen wunderbar ineinander verwoben und geschickt miteinander kontrastiert. Der frisch Fenchelsalat sorgt für frische Säure und das üppigere Püree transportiert - mittels Butter - wunderbar den Wohlgeschmack es Fisches und der umamireichen Sauce. Gerne mehr davon!
Jetzt wird es richtig groß. Im nächsten Gang präsentiert die Küche eine Art Galantine von Wachtel- und Taubenbrust, welche mit einer Hülle aus Wirsing umschlossen wird. Schon bei der puren Optik und den offensichtlich exakt getroffenen Garpunkten muss man vor dem brillanten Handwerk Hettingers den Hut ziehen. Die Geflügelfarce wurde zudem mit Foie Gras angereichert, was der Füllung einen schön üppigen Schmelz verleiht. Hinzu kommt ein cremiges Perlgraupen-Risotto, knusprige Croutons und ein herrlich dichter Tauben-Jus. Ein wahres Fest wie großartig hier französische Klassik gehuldigt wird. Großen Respekt!
Im Hauptgang bekommen wir es dann mit einer Tranche Rinderfilet zu tun, welche mit Kürbiscreme, Kürbisgemüse, einem kleinen geschmorten, belgischen Chicorée, hausgemachten Papardelle, Buchenpilzen und einer Trüffeljus kombiniert ist. Ein Hauch von Zimt, welchen wir in den Pilzen wahrnehmen, belebt die Kreation aromatisch noch einmal zusätzlich. Auch Das Filet ist zwar nicht unbedingt unser präferierter Cut vom Rind, ist aber hier wunderbar gegart, intensiv und kernig. Auch die Mitspieler sind geschickt ausgewählt indem Hettinger ein schönes Spannungsfeld aus Süße, Säure vom Kürbis, feinen Bitternoten vom Chicorée und dem Umami des Jus mit dezenter, erdiger Trüffelnote entstehen lässt. Mit anderen Worten: exzellent.
Hettinger war jahrelang Chef-Patissier unter Bernhard Diers in der Zirbelstube (damals *), was natürlich hohe Erwartungen erzeugt. Die erste süße Kreation des Abends ist schon einmal hervorragend. Beinahe profan, verpasst Hettinger einem säuerlichen, dezent mit Nelke und Zimt abgeschmeckten, Apfel-Ragout eine Haube Tonkabohnen-Espuma. Die Säure und Süße ist hier exzellent ausbalanciert und das Espuma könnte in puncto Intensität und Geschmack kaum besser sein. Gutes kann so einfach sein.
Auch im Hauptdessert setzt Hettinger auf ungetrübte Harmonie und vereinigt ein warmes Schokoladen-Küchlein („Schokoladenauflauf“) mit sensationellem Tahiti-Vanilleeis, eingelegten Blaubeeren und einem weißen Schokoladen-Mousse (Ivoire). Etwas grüne Noten und Frische erzeugt eine Feldsalat-Petersilien-Agaven-Emulsion, welche großzügig den Tellergrund ausfüllt. Das Tolle an diesem Dessert ist wiederrum, dass Hettinger keine Umwege über überflüssige Zutaten oder Texturebenen (Gele, Hippen, Dehydration, etc.) einschlägt und den Fokus auf das Wesentliche legt. Das schmeckt man Gabel für Gabel. Mehr Wohlgeschmack und Glückseligkeit lässt sich nur schwer auf einen Teller packen. Großes Kompliment für diese Leistung.
Auch die Herstellung der Petits Fours lässt sich Andreas Hettinger nicht nehmen und natürlich werden auch diese restlos und mit Hochgenuss verputzt.
Das Konzept Koch & Kellner begegnet uns tatsächlich immer wieder, allerdings wesentlich weniger häufig auf diesem Level. Sowohl Andreas Hettinger als auch Evangelos Pattas brillieren wahrlich auf Ihren Positionen und bescherten uns einen wunderbaren Abend. Wir kommen definitiv bald wieder.
Alkoholische Getränkebegleitung
Wunderbar passend ausgewählte, facettenreiche Speisebegleiter aus alter und neuer Welt. Großes Lob an Evangelos Pattas.
Fazit
Auf den Punkt, finessenreich und handwerklich ausgezeichnet - die Wohlfühlküche von Alleinkoch Andreas Hettinger ist eine geschmackliche Sensation. Gastgeber Evangelos Pattas sorgt mit feinen Weinen und Herzlichkeit für die ideale Untermalung.
Délice Gastrosophie & Weinkultur
Hauptstätter Straße 61
70178 Stuttgart
(07 11) 6 40 32 22
www.restaurant-delice.de
Text, Fotos © les-etoiles.de
auf Instagram zu erreichen unter: @les.etoiles_blog