Zu Gast bei Kristiane Kegelmann - pars Restaurant (Berlin)
Zu Gast bei Kristiane Kegelmann - pars Restaurant (Berlin)
Kristiane Kegelmann hat sich das traditionsgesättigte Café Savigny erbeutet, ein Rudel talentierte Köpfe dazugetrommelt und scheinbar mühelos die elegante Stilistik ihrer ikonischen pars Pralinen in eine puristische Verweilstätte verlängert, in der sich behaglich das Gehirn nullen lässt.
Der Ort
Das pars Restaurant bewegt sich irgendwo zwischen Kunsthandwerk und Dienstleistung, zwischen legerem À la Carte-Reingeschlender und cleaner Dinner-Location mit durchkomponierter 6-Gang-Formation. Die minimalistischen Räumlichkeiten haben etwas Klärendes. Je nach Misanthropie-Grad lässt es sich distanzverringernd an der großen Tafel mit Blick auf die offene Küche Platz nehmen oder etwas intimer an kleineren Tischen im Nebenraum. Unter den Design-Funzeln von As a Ceremony erlebe ich Erleuchtung - von sichtbaren Netzanschlusskabeln bis Fassungshülsen - roh und zurückhaltend, ähnlich wie die nachkommenden Gerichte auf der kargen Keramik von Dirk Aleksic.
Kristiane Kegelmann (Gastgeberin), Michaela Bauer (Autorin), Alina Jakobsmeier (Küchenchefin) (v.l.n.r.)
Das Team
Und dann steht sie überlebensgroß vor mir; diese markante Person mit den klugen Augen, den Raum mit geräuschloser Präsenz füllend, die Frisur unbändig wie ihre Ideen. Der Prozess ist das Werk - so handhabte Kristiane als bildende Künstlerin bereits ihre Skulpturen. Veränderungsprozesse durch die Interaktion mit den Betrachtenden waren stets gewollt und so stellt auch das frisch geschlüpfte Restaurant ein gemeinschaftliches Projekt dar, das sich stets weiterentwickeln darf. Es geht um aktives Loslassen und passives Einlassen; sie erschuf die Rahmenbedingungen, die nunmehr von anderen Kreativen gefüllt werden:
So scannt Sophie Skowronek seismographisch den Gastraum, um bei promilligem Druckabfall zu intervenieren oder – wie in meinem Fall – sturzbegeistert alkoholfreie Aperitifs zu promoten. Ähnlich akribisch geht’s in der Küche zu, in der Alina Jakobsmeier zusammen mit Florian Zeisich ihre geradlinigen Teller ausklüngelt. Alina und Kristiane kennen sich schon aus ihrer Zeit in Wien und haben sich seit jeher nicht aus den Augen verloren. Nachdem Kristiane ihr die Herstellung der pars Pralinen anvertraute und Alinas charakterfeste Handschrift in pandemiebedingten Pop-Up-Events überzeugte, war die Köchin für das Projekt schnell gefunden.
Das Essen
Wer sich in der puristischen Teller-Ästhetik eines Julius Ernst oder Otto wohlfühlt, wird sich im pars behaglich aufgehoben fühlen. Alinas Gänge sind geschmacklich dicht und nah an der Zutat. Man spürt die konspirativ weitergeflüsterten Kontakte von Billy Wagner, der sich für sein Nobelhart & Schmutzig ebenfalls auf Produzent*innen aus der Umgebung verlässt. Das Bio-Gemüse von Grete Peschken darf gleichsam wie die Forelle von 25 Teiche auf der Keramik Platz nehmen, während die aromatische Zwiebelbutter zum saftigen Sauerteig-Brot der Bäckerei Keit vom Erdhof Seewalde stammt.
Ich starte à la Carte mit einer Rote-Bete-Borscht. Die vollmundige Aromatik verrät an dieser Stelle, dass hier nichts zu Tode pestizidiert wurde. Der geräucherte Quark obenauf und die zarten Dillspitzen ergänzen unaufgeregt. Mehr braucht es nicht, außer vielleicht den alkoholfreien Muri im Glas, der als Kalt-Teeauszug mit geräuchertem Rhabarber und Beeren elegant belebt.
Optisches Understatement mit gnadenloser Wirkung auf dem Folgeteller: Protagonist ist hier ein salzig-intensiver Kartoffelrösti, der vom Forellenfilet ohne Brusttrommelwirbel flankiert wird. Dass die Kartoffel hierbei den Fame kassiert, löst bei der Forelle keinerlei Standesdünkel aus. Sie bleibt freundlich, butterzart und be(weih)räuchert behutsam ihren Polysaccharid-Kumpel.
Solide Spektakelverweigerung auch im Dessert, dafür treffe ich wiederum auf den vorhersagbaren Qualitätsfanatismus. Aus begründetem Respekt vor fädenziehender Industriezuckersüße beäuge ich die Pavlova skeptisch. Nach dem ersten Löffel rasten die Mundwinkel gemütlich auf Nasiolabialfaltenhöhe ein, denn auch hier findet sich keine Spur von zuckriger Nachspeise. Stattdessen überzeugt eine feingesichtige Collage aus fluffigem Baiser-Knusper mit blank geschlagener Sahne, etwas Säure aus den im letzten Sommer eingelegten Cassis-Beeren und dem Signature-Haselnussmus aus der Pars-Kollektion. Ich habe keine weiteren Fragen, nur die nach der Beschaffungsstrategie der promillelosen Brat-Birne, die im Glas vor mir herumprickelt. Beim Mindful Drinking Club können Rauschgift-Verwehrende die zimtige Kardamom-Prickelbrause auf Birnenbasis erwerben, die an Silvester – wie mir Sophie verrät – auch mal dem Champagner vorgezogen wurde.
Die pars Praline
Kristianes kubische Kohlenhydrat-Klunker harrten schon länger auf meiner gastronomischen Agenda aus und nun glänzen vier davon eindrucksvoll wie die Stirn eines stark pubertierenden Jugendlichen auf dem letzten Teller des Abends. Die kantigen Kostbarkeiten sind keine Klischee-Süßigkeit, vielmehr eine Überraschung an Konsistenz und Geschmack, die Menschen durchaus in ihren kulinarischen Erwartungshaltungen zu irritieren vermag. Die herbe Schokoladenhülle ist lediglich formgebende Komponente und der Rübenzucker vom Bio-Hersteller lässt Pars Pralinen mit wenig Süße auskommen, dafür allerdings in epischen Rezepturen aufspielen: vegane Sesam-Birne, Rharbarberblüte-Räucherquark oder das Säurebömbchen der aktuellen und 3-monatig wechselnden Kollektion, das mit einer Ganache aus fermentierter Sojasoße mein Abendessen explosiv beschließt. Ich bin geneigt, sie in mehrlagiger Luftpolsterfolie zu verpacken und für immer aufzuheben, allerdings ist ihre Haltbarkeit auf 1-2 Wochen beschränkt, da auf Konservierungsstoffe bei der Herstellung erwartbar konsequent verzichtet wird. Für den Pralinen-Gang des Menüs werden sie sogar täglich frisch hergestellt.
Das Ende
Seit ungefähr 10 Minuten prüfe ich mit Pralinenmesser und der Ausdauer einer Chemie-Laborantin den Widerstand des Premium-Konfekts sowie den nicht auflösbaren Widerspruch zwischen Zerstör-Hemmnis und ungeduldigem Probierwillen. Schließlich der kulinarische Abriss nach gleitender Klinge. Zwangsvergrinst und frühversnobbt entscheide ich: Nie wieder Discounter-Trüffel und züngle den karamellig einreduzierten Quittensaft aus der letzten Praline.
pars Restaurant
Grolmanstraße 53
10623 Berlin
Di–Sa
17.30 Uhr À la Carte / 4 - 17,50 €
ab 19 Uhr / 6 Gänge 95 €
Fotos, Text © Michaela Bauer
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.