Über Tee-Rituale, Tempelkost-Fine-Dining und Luxus
Über Tee-Rituale, Tempelkost-Fine-Dining und Luxus
Es empfiehlt sich, unten abgebildete Personen an einem abenteuerlustigen Berlin-Mitte-Sommerabend an seiner Seite zu wissen. Kwok Ying von Beuningen, die von Team und Freunden eindringlich „Joyce“ gerufen wird, wenn es weit gereiste Chlorophyllträger ins vorschriftsmäßig temperierte Wasser zu schubsen gilt, serviert im Minimalismus-Tempel Oukandining ihre durchkonstruierte Teebegleitung zum vegan-japanischen Tempelkost-Menü, das von Küchendirektor Martin Müller behutsam nach den Prinzipien der buddhistischen Shōjin Ryōri-Tradition zusammengeklöppelt wird. Der gebürtige Berliner und die aus Hong Kong stammende Teesommeliѐre haben sich Zeit für ein Gespräch genommen.
Wohl bekommt’s.
Martin, warum liegt euer Fokus auf der Tempelküche?
Die drei Gründer Tran Mai Huy Thong, Trung Le und Erik Spickschen haben sich während des Lockdowns überlegt: „Komm‘, wir machen hier was draus.“ Huy Thong, der hier vorher seinen Concept Store hatte, ist in einem Tempel groß geworden, was den Input für die Location vielleicht etwas erklärt. Nachdem ich mich vom TISK verabschiedet hatte, kamen die Jungs dann auf mich zu. Wir haben uns zunächst beschnuppert und ich wusste noch gar nicht, welches Konzept sie verfolgen, aber als ich hier rein kam (es war natürlich noch alles Baustelle) habe ich den Charakter des Ortes schon erahnen können. Sie erzählten mir dann, dass sie sich eine vegane Küche vorstellten, was sicherlich auch das Alleinstellungsmerkmal in dem Segment ist, und dass die Philosophie dahinter die Tempelküche sein soll. Sie wussten nur noch nicht, wie sie das auf die Straße bringen sollten. Das war dann auch für mich der Startpunkt, mich ins Thema einzuarbeiten, Workshops zu machen und parallel habe ich selbst im Lockdown mehr zu mir gefunden. Ich habe mich mit gesunder Ernährung beschäftigt und begonnen zu meditieren, somit hat sich die Thematik gefügt.
Welche Merkmale machen die Shōjin-Ryōri-Tradition eurer Tempelküche aus?
An sich ist diese Küche sehr clean. Es geht zunächst um das einzelne Produkt, aber es müssen die fünf Geschmacksrichtungen im Menü enthalten sein sowie fünf Garformen von dämpfen bis braten. Des Weiteren gilt es, das Farbschema zu beachten – die Farben weiß, gelb, rot, grün und schwarz müssen enthalten sein und wenn du das alles in deinem Menü hast, bist du mit allen Energien in Einklang und somit in einem Status der Harmonie. An sich geht es ums Leben an sich und darum, auch mit seiner Umwelt in Harmonie zu sein.
Weil der buddhistische Ansatz im Oukan auch für mich neu war, stimme ich mich eng mit Huy Thong ab und greife zudem auf den reichen Erfahrungsschatz von Mönchen aus der Pagode Phat Hue – ein Kloster, Seminarhaus und buddhistisches Begegnungszentrum für die Vietnamesen des Rhein-Main-Gebietes – sowie Mitgliedern des Klosters Buddhas Weg – eine Klostergemeinschaft, die sich aus Mönchen und Nonnen unterschiedlicher buddhistischer Traditionen zusammensetzt – zurück. Dort leben Experten für Themen wie asiatische Heilmedizin und Fermentation, die meinem Team und mir beratend zur Seite stehen. Mein Motto ist: „Wenn du etwas gut kannst, musst du wieder Schüler werden“. Daher nutze ich das neu gewonnene Wissen, um es mit meinem Erfahrungsschatz in der europäischen Küche zu verbinden.
War von Beginn an klar, dass ihr Fine Dining anbieten wollt?
Wir wollten etwas machen, was es noch nicht gab. Klar kann man auch eine Reisbowl anbieten und etwas Salat reinwerfen, aber daran haben die Leute sich wahrscheinlich schon satt gegessen. Ich habe daraufhin ein Konzept zusammen geschrieben, einmal probegekocht und dann stand das Konzept. Zwei Wochen vor der Eröffnung haben wir dann die erste Karte fertig gehabt und mittlerweile haben wir schon eine spannende Reise hinter uns, weil du Gericht für Gericht näher an die Philosophie herankommst, und nun blicken wir stolz auf die dritte Karte.
Wie isst du privat?
Ich ernähre mich hauptsächlich vegetarisch, aber wenn ich essen gehe, interessiert mich als Koch natürlich auch die Technik und da esse ich dann alles. Auch bei meiner Familie brauche ich nicht damit ankommen Veganer zu sein, aber für mich versuche ich schon pflanzenbasiert zu essen.
Welche Botschaft möchtest du mit deinem Menü an die Gäste senden?
Tatsächlich möchte ich zugängliche Schnittstellen schaffen, sodass Gäste sehen, was alles möglich ist und dass vegane Küche keinen Verzicht bedeutet. Ich wundere mich oft über die Befangenheit von Menschen, die vegane Gerichte noch nicht einmal probiert haben und sie ablehnen. Hier glaube ich, dass es ein gesellschaftliches Problem gibt, weil Ernährung immer davon abhängt, wie du groß geworden bist, wie die Verfügbarkeit sich gestaltet und natürlich auch von der finanziellen Situation. Wenn eine Salami unter ein Euro kostet, aber ein Bioapfel 2,30Euro, dann bist du schnell bei der Frage: Wer kann sich gut ernähren? Aber es geht am Ende auch um das Bewusstsein dafür, wie ich mir etwas Gutes tun kann. Und bei uns bekommst du den einfachsten Weg: du bekommst ein Menü, das so aufgestellt ist, dass du mit einem guten Körpergefühl den Laden verlässt. Du kannst über die verwendeten Zutaten (die Auswahl der Gemüsearten, den Einbau von Heilkräutern) und dein Menü ernährungsphysiologisch so steuern, dass du keinen Leistungsabfall hast. Unser Essen kann für die Gäste demnach wie eine kleine Kur wirken.
Gab es auf dieser Reise zu eurem Menü für dich ein kulinarisches Erweckungserlebnis?
Es gibt schon ein paar japanische Produkte, die ich kennengelernt habe und spannend finde. Aus Kartoffelstärke Nudeln machen zum Beispiel, aber es ist vor allem der Prozess und die Suche danach, wie du einen Geschmack hergestellt bekommst, der entlang der Regeln der Shōjin-Ryōri-Philosophie funktioniert. Da gibt es immer wieder Herausforderungen, die dich auf Trab halten und bei denen du erst einmal zwei Wochen drüber nachdenken musst.
Was bedeutet Luxus für dich?
Mittlerweile empfinde ich Zeit als Luxus und vor allem die Frage danach, wie ich sie verbringe. Und das gilt auch für Essen. Ich prüfe mittlerweile genauer, mit wem ich meine Zeit verbringe und gleiches gilt für die Frage: investiere ich in gutes Essen oder hole ich mir den Döner auf die Schnelle. Wenn das Luxus ist, würde ich für gutes Essen mit guten Leuten Geld ausgeben. Früher hätte ich für das Erlebnis 10.000 Euro genommen, wäre nach New York geflogen und hätte mich durch die Stadt gegessen. Heute würde ich das so nicht mehr tun und eher die Frage nach der Wertschätzung stellen. Wo würde ich essen gehen? Wären es zu viele Erlebnisse, die ich gar nicht verarbeiten könnte? Also heute eher ausgewählter, aber besser – beim Essen und bei allem, was mich umgibt.
Was wünscht du dir von den Gästen?
Dass sie kommen (lacht)! Nein, im Ernst. Ich wünsche mir Wertschätzung. Das gilt nicht nur für das Oukan. In jedem Restaurant steht jemand in der Küche, der sich Mühe macht und gerade unter den aktuellen Bedingungen mit Inflation, Krieg und Corona wird es für Gastronomen nicht leichter, solche Orte zu erhalten. Günstiger kann man von der Preispolitik nicht mehr werden und wenn Gäste dafür Verständnis haben und uns Wertschätzung für den Gesamtprozess entgegenbringen, wäre ich sehr dankbar.
Danke, Martin.
Joyce, wie kamst du dazu, Teesommeliѐre zu werden?
Ich habe 2010 ganz klassisch eine Ausbildung zur Teesommeliѐre bei der IHK gemacht, aber am meisten habe ich auf meinen anschließenden Reisen gelernt. Ich habe zwar auch viel zuvor gelesen und theoretisch in Kursen gelernt, aber vor Ort bei der Herstellung des Tees zuzuschauen, macht das Lernen lebendig. Mein Spezialgebiet ist nach wie vor China und Taiwan.
Welche persönliche Beziehung hast du zum Tee?
Tee gehört zu meiner Identität. Und beruflich zum Tee gekommen, bin ich sozusagen auf meiner Suche nach mir selbst. Ich komme aus Hong Kong, lebe aber in Deutschland. Und es stellte sich immer wieder die Frage: Wer bin ich? Woher komme ich? Welche ist meine Kultur? Die Frage stellt sich in Deutschland verstärkt, weil ich hier am Anfang keine Familie hatte.
War das Teetrinken in deiner Herkunftsfamilie ein wichtiges Ritual?
Tee war immer da, aber was immer da ist, ist nichts Besonderes. Das war ein alltäglicher Teil unseres Lebens wie Essen und Wasser. Auch wenn wir rausgehen, bestellen wir statt Cola oder Wein Tee. Die Bedeutung, die Tee heute für mich hat, unterscheidet sich stark von diesem Alltagsbezug. Damals habe ich einfach darauf gehört, wenn Oma oder Mutter gesagt haben, wir sollen das trinken, weil es gesund ist. Da vertraute ich auf das alte Wissen.
Welche Tees habt ihr getrunken?
Beim Essen dunkle Pu Erh – Tees und zuhause haben wir oft verschiedene Kräutermischungen getrunken. Wir sind diesbezüglich auch nicht so streng. Bei uns heißen Kräuteraufgüsse auch „Tee“. In Deutschland oder generell der westlichen Welt gibt es ja eher eine Trennung zwischen Infusionen und richtigen Tees.
Welcher Tee ist heute für dich wichtig?
Oolong-Tee, weil es immer wieder eine Entdeckungsreise ist und ein ganzes Universum an Varianten gibt, die durch unterschiedliche Oxidationsprozesse entstehen. Oolong-Tee kann zwischen Grün- und Schwarztee eingeordnet werden. Mich fasziniert, wie er sich immer wieder verändern kann, je nachdem, in welchem Stadium er sich befindet. Ich war auch vor Ort in Taiwan und habe den Prozess vom Tee pflücken bis zum Endergebnis verfolgt und so ein tieferes Verständnis dafür bekommen, wie sich das Aroma entwickelt in den jeweiligen Stadien. Dieser Tee ist mir also sehr nah.
Inwiefern unterscheiden sich chinesische von japanischen Tees?
Der Geschmack, die Zubereitungsart und entsprechend der ganze Charakter ist anders. Bei japanischem Tee liegt der Fokus meist auf Umami als Geschmack, er ist also sehr intensiv und nach einem Aufguss entfaltet sich ein komplexes Aroma beim ersten und zweiten Aufguss. Chinesischer Tee braucht hingegen seine Zeit. Er entfaltet sich nicht beim ersten oder zweiten Aufguss, sondern erst beim dritten, vierten oder fünften Aufguss und es geht darum, den Prozess der Veränderung bei den einzelnen Aufgüssen zu erleben. Die Ursache dafür liegt in den unterschiedlichen Herstellungsverfahren. Während japanischer Tee häufig in der ersten Phase gedämpft wird, wird chinesischer Tee im Wok mit trockener Hitze geröstet.
Welche Tees serviert ihr hier im Oukan hauptsächlich?
Auf den japanischen Tees liegt das Hauptaugenmerk, aber zukünftig werden wir auch hier und da chinesische Tees einfließen lassen, weil es nochmal eine ganz andere Welt eröffnet. Unsere Teebegleitung beinhaltet jetzt bereits Tees aus beiden Herstellungsprozessen, weil ich immer den besten Tee für den jeweiligen Gang aussuche.
Was sollen die Gäste nach einem Abend hier über Tee erfahren haben?
Dass die Teewelt so groß und voller Nuancen ist. Die Ergänzung von Gängen kann Tee also genau so erfüllen wie Wein.
Welchen Tee trinkst du nach einem perfekten Tag und einem, an dem nichts funktionieren wollte?
Zum Aufwachen mag ich gerne Matcha. Ganz klassisch aufgeschäumt mit dem Matchabesen. Auch hier trinken wir oft gemeinsam Matcha vor dem Service als Ritual und damit alle wach sind. Wenn es ein regnerischer kalter Tag ist, wünsche ich mir eher dunklere Tees, die wärmen. Da wären geröstete, wie zum Beispiel, ein guter Oolong-Tee meine Wahl oder ein Tee, der lange gelagert wird, denn diese Tees wirken eher entspannend und beruhigend auf den Körper.
Danke, Joyce.
Oukan
Ackerstraße 144
10115 Berlin
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Foto, Interview © Michaela Bauer, Juni 2022