The Irori - ein Pop-Up-Restaurant, das es nicht mehr gibt.
The Irori - ein Pop-Up-Restaurant, das es nicht mehr gibt.
Kerstin Bauer und Max Goldberg im 'The Irori' in Hainfeld (Pfalz).
Kurz nachdem Kerstin Bauer und Max Goldberg ihren ersten Stern für ihre Arbeit im Restaurant Oxalis bekommen hatten, war klar: Das Restaurant wird in dieser Form nicht weiterexistieren und so wagten die beiden, mitten in der Coronakrise, das Experiment und eröffneten im ehemaligen Stall des Hotels Julius in der Pfalz ein Pop-Up-Restaurant. Schnell wurde die Wand gestrichen, die Decke abgehängt und der Raum mit Teppichen und gekonnt platzierter Beleuchtung gemütlich gemacht. Beindruckend, wie die beiden es geschafft haben mit so wenigen Mitteln eine wertige Atmosphäre zu schaffen.
„The Irori“ nennt sich das Restaurant-Experiment bzw. nannte es sich, denn das Pop-Up ist bereits beendet. Daher wollen wir hier auch auf eine Bewertung nach Punkten verzichten und nur etwas Lust machen, auf das, was die Gäste womöglich im neuen Projekt der beiden erwartet! Idealerweise ein kleines Restaurant mit offener Küche und vielen Plätzen am Tresen, wo der Gast den Köchen bei der Arbeit zuschauen kann. Doch zurück zum Namen: „Irori“ ist Japanisch für „Feuerstelle“ und die kommt bei Goldberg häufig zum Einsatz. Neben Einflüssen, die er sich auf einer ausgedehnten Japanreise angeeignet hat, ist es vor allem die skandinavische Küche, die ihn inspiriert. Übersetzt auf seine Küche bedeutet das: Der Fokus liegt bei ihm auf dem Produkt, das idealerweise aus der Region und von Produzenten stammt, die der Koch selbst kennt. Außerdem wird fermentiert und geräuchert. Dogmatisch und belehrend soll das Ganze aber nicht sein. So wie er sich selbst auch insgesamt als kulinarischen Freigeist sieht, der am liebsten jeden Tag etwas Anderes kochen möchte.
Klares Ziel des Küchenchefs: Der Gast soll überfressen aus dem Restaurant kugeln. Das Klischee, dass man im Sternerestaurant bei den Portiönchen doch nicht satt werde, glatt ins Gegenteil verkehrt. Für den einen oder anderen trinkfesten Spitzenwinzer, die gerüchteweise häufig im Irori anzutreffen waren, mag das aufgehen, wir kamen allerdings zugegebenermaßen an die Grenzen unserer Kondition. Aber das spricht ja nun eher dafür, dass wir unseren Trainingsplan noch etwas optimieren müssen!
Nachdem wir ein wenig irrend den Innenhof des Hotels erkundet hatten, wurden wir schließlich von der sehr freundlichen und offenen Kerstin Bauer begrüßt. Etwas artifiziell japanophil wirkte aber, dass sich alle Servierenden beim Annoncieren so weit verkleinern, dass nur noch der Kopf oberhalb der Tischkante zu sehen ist. Diese Geste bräuchte es eigentlich nicht, denn Kerstin (man duzt sich) gelingt es auch so innerhalb von Minuten eine Beziehung „auf Augenhöhe“ herzustellen.
Der kulinarische Abend startet mit einer Auswahl an feinen Sakizuke. Ein formschön gefaltetes Kohlrabi-Origami trifft auf geschmorte Lammkeule aus Neustadt an der Weinstraße, Forelle wird mit Kombu als Tataki gereicht und der Brokkoli durfte sich über ein Dashibad freuen. Die in den Chips verarbeitete mehligkochende Kartoffel aus regionalem Anbau rundet den Reigen ab.
Das Menü beginnt mit gebratenem Queichtalrind, Molkesud, Fenchelsaat und einem Öl aus Liebstöckel, Koriander, Schnittlauch und Dill. Ein Süßkartoffelchip bietet sich zudem offensiv als Knusperelement an. Eine schöne Mischung aus dem säuerlich-frischen Fenchel und dem würzigen Queichtalrind, das hier sowohl roh als auch geschmort Eingang finden durfte. Ein großartiger Start, der durch das leicht ölige Finish (Öl im Salat, Kräuteröl, „Rinderöl“) nur minimal getrübt wird.
Kabayaki, also Aal im Teriyaki-Lack, ist zusammen mit einer im Zusammenspiel etwas großzügig geratenen Entenlebercreme der Hauptdarsteller des zweiten Ganges. Gekontert werden diese beiden fetten Komponenten durch einen zarten Holunderblütensud, marinierte Gurken und marinierten Rettich und einem Chip – diesmal aus Reis. Eine wahre Freude ist die Nocke vom geräucherten Broccolipüree, von dem ich am liebsten noch nachbestellt hätte. Die einzelnen Komponenten sind ohne Zweifel hervorragend zubereitet, dennoch bleibt das Gericht beim Verzehr ein klein wenig eklektisch und ist von den Proportionen nicht zu 100% harmonisch.
Ein Umami-Feuerwerk ist der dritte Gang bei dem sich Pilze, Spinat, Pilzcreme, Gomasio (Sesamsalz) und – Sie ahnen es bereits – einem Chip (aus Pilzen) prächtig verstehen. Ein Teller, den man gegen jedes Raketenspektakel an Silvester eintauschen würde!
Der nächste Teller aus einem für meinen Geschmack etwas weichem Ragout aus Artischocke, Paprika und Zucchini wurde mit Tomatenwasser verfeinert. Lecker.
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Die Vorfreude beim Anblick des nächsten Gangs führte zu zittrigen Fingern, die wiederum dafür verantwortlich sind, dass das Bild des nächsten Ganges leider der internen Bild-Zensur zum Opfer fallen musste. Bitte stellen Sie sich diesen so schön und wohlschmeckend als möglich vor, dann kommen sie dem Gang vermutlich am nächsten. Die Komponenten: Stör, Kujo negi, Beurre Blanc und Petersiliencreme.
Nun hat die bildfreie Zeit aber wieder ein Ende und wir können gemeinsam ausgebackenes Kalbsbries, gerösteten Blumenkohl, Blumenkohlcreme und eine leicht batzige, sehr intensive Reduktion aus purem Ochenschwanz-Jus mit Tamarinde genießen. Das ist aromatisch sehr dicht und gemütlich. Wenn man Farben schmecken könnte, würde so wahrscheinlich „Braun“ schmecken. Leider ist das vormals Knusprige beim Verzehr nicht mehr knusprig, was dazu führt, dass die klebrig-cremigen Texturen gierig die Macht auf dem Teller übernehmen. Zur Ehrenrettung sei aber gesagt, dass das Bries auf dem Teller gegenüber seine Knusprigkeit nicht so leichtfertig aufgab. Blame the Bries würde ich sagen!
Es folgt ein mächtiger Markknochen mit Brot, Speck und eingelegten Radieschen. Ein Gang, der dafür sorgen soll, dass die trinkfreudige Kundschaft eine gute Grundlage für den feilgebotenen Wein aufweist. Ich hingegen kämpfe mit dem Sättigungsgefühl. Vielleicht hätte ich auch mehr Wein trinken müssen? Lecker ist es aber allemal!
Taubenbrust, Kürbispüree und eine Jus mit Yuzukosho (Fermentierte Yuzu mit Chili) sind in ihrer feinen Reduziertheit wunderschön. Hier will man nichts hinzufügen. Die à part servierte Taubenkeule auf erwärmtem Kimchi und etwas belanglosem Stangensellerie mit Schnittlauchöl fallen da leider leicht ab. Aber der Hauptteller, ich wiederhole mich, ist Perfektion!
Das erste Dessert mit Basilikum, Beeren und der verbrannten Haut der Aubergine ist sicher kontrovers zu nennen. Generell bin ich ja ein Freund von experimentellen Desserts, aber hier stellen sich bei mir leider eher Aschenbecher-Assoziationen ein.
Großartig in Geschmack und Inszenierung ist hingegen der Abschluss des Menüs. Das Mizumono besteht aus einer in der heißen Cocotte (Obacht!) servierten Zimtschnecke mit brauner Butter und Rum sowie einem Eis aus Johannisbeerholz, das auf einem Ragout auf Weinbergpfirsich thront. Das ist supergemütlich und schmeckt großartig!
Fazit: Man darf gespannt sein, welche Pläne Kerstin Bauer und Max Goldberg in der nächsten Zeit verfolgen werden. Sicher ist jedoch: Es lohnt sich, diese im Auge zu behalten!