Sophia Rudolph - Oh, wie schön ist dein Panama!
Sophia Rudolph - Oh, wie schön ist dein Panama!
Ein Restaurantbesuch ist mehr, als "nur" gut Essen gehen.
Immer dem blauen Neon-„P“ nach, wenn man sich vorbei an bepflanzten Holzkübeln über den verklinkerten Innenhof der Potsdamer Straße 91 schlängelt! Die angeschlossene Destillat-Remise im Innenhof - die Tiger Bar – bitte direkt abspeichern für die Magenkühlung danach!
Ein paar Stufen ins Souterrain und schon leuchtet von der Decke der nächste Neon-Hinweis. Dieses Mal handelt es sich um eine chemische Formel. Ich erkenne das Dimetyhyltryptamin, das als sogenanntes „Spirit Molecule“ zu den stärksten Halluzinogenen der Welt zählt. Aus einer Liane gewonnen wird „Ayahuasca“ typischerweise in schamanischen Ritualen in Südamerika verwendet, um andere Wirklichkeitszustände zu erreichen. Sollte dieser Deckenhinweis selbstreferentiell gemeint sein, wäre ich verunsichert, was das heutige Testessen angeht. Als Einladung zum Alltagsausstieg finde ich das Symbol wiederum beschmunzelwürdig. Oh, wie schön sind andere Welten, wenn man zu Hause bleiben kann. Oh, wie schön ist (das) Panama!
Zwei, die sich aufmachten, ein Abenteuer zu suchen und in der eigenen Stadt ein kleines kulinarisches Paradies finden, schauen sich nun tief in die Augen. „Ist das für uns beide?“ fragt sie. Wenn der Sharing-Style den wummernden Zeitgeist und die Vorspeise bestimmt, wird nichts leichter. Teilen macht glücklich und stellt Gemeinschaft her, heißt es. Sie starrt mich an und blinzelt nicht, ich starre zurück und es blitzt kurz in der Pupille, ein Blickduell, Stille am Tisch, die Blicke senken sich zum Teller.
„Ich liiiiebe Ceviche!“ sagt sie, „Ich liebe Wolfsbarsch und Grapefruit!“ sage ich. Nochmals tiefe Blicke in eingefrorene Mimik. Aus psychohygienischer Notwendigkeit teilen kratzende Löffel die Portion höflich auf. Das angespannte Schweigen wird vom ersten Bissen gebrochen. „Oh mein Gott, egal, zur Not bestellen wir noch eine Portion!“ bricht die Erkenntnis synchron aus unseren Kehlköpfen. Ceviche, my ass! Das Signature-Dish, das im Panama immer wieder in abgewandelten Varianten angeboten wird, ist jetzt schon unser Lieblingsgang: Der Wolfsbarsch kommt aus der Müritz und ist ein kleiner Kochvortäuscher: Wer im Chemieunterricht aufgepasst hat, weiß, dass man Eiweiße nicht nur mit Hitze denaturieren kann, sondern auch mit sauren ph-Werten. Also wurde der Wolfsbarsch in die Zitronensäure geschubst und schwamm für einige Stunden darin herum. Dann wurde er mit Grapefruit hochgeschraubt, die den Gang als Sud und als Mini-Filets befruchtet und von Lebkuchenstückchen ergänzt wird. Chicorée und Macadamia-Nüsse, die dem Wolfsbarsch hauchzart als crispy Blättchen auf’s Haupt gehobelt wurden, steuern die bitter-nussige Note bei.
„Danke, dass du mich mitgenommen hast. Was für ein wunderbarer Ort!“ sagt sie. „Ich weiß, dass du ein Fernwehkind bist…“ sage ich. Sie nickt und betrachtet die indirekte Beleuchtung, die gelb-weiß schimmernden Sofas und Sessel, die das Licht der Südhalbkugel immitieren, und bleibt am beinahe karrikaturhaft gewachsenen Lucky-Luke-Cartoon-Kaktus hängen - man hat direkt einen Stachel-Draht zueinander.
Besonders fällt die abgefahrene Lichtinstallation ins Auge – eine Anfertigung von Björn Dahlem, die eine perfekte Projektionsfläche für Fernweh bietet. Das darf steuerlos die Kanthölzer entlanggleiten und sich überraschen lassen, welche Elektro-Sonne diesmal aufgeht, befinden sich doch zwischen und an den Enden der in alle Richtungen in den Raum ragenden Kanthölzer unterschiedlichste Leuchtkörpervariationen. The Big Bang heißt die Arbeit - aus einem Ursprungspunkt in alle Richtungen hinausziehend oder auch als schwarzes Loch lesbar, das punktuelle Einflüsse von außen auf einem Punkt vereint. Die Metaphorik dieser Leuchte findet sich im Konzept des Panama wieder – eine Fusionsküche aus regionaler Nachhaltigkeitsdenke und integrierter Weltläufigkeit bildet kulinarische Gesichter aus aller Welt auf dem Teller vor uns ab.
Im Gegensatz zu Mama Ayahuasca, die mehrgesichtige Frauengestalt, die - so wird berichtet - unter DMT-Einfluss als Vision erscheint, wirkt die Frauengestalt in der Küche weniger furchteinflößend. Der offene Küchenpass gestattet die heimliche Beobachtung der blonden Frau mit dem makellosen Dutt und dem konzentrierten Blick: Die für den Service schon bereit gestellten Schälchen werden von Sophia Rudolphs flinken Händen sorgfältig auf Kante geschoben und in Reihe angeordnet.
Wenn Sorgfalt und Behutsamkeit bis zur Perfektion getrieben werden, lässt sich die Arbeit im 3-Sterner erahnen. Nach Standortwechseln zwischen Berlin und Frankreich, wo sie bei Paul Bocuse und Alain Ducasse lernte, ging sie als Sous-Chefin in die Weinbar Rutz und somit wieder zurück nach Berlin. Seit 2016 sortiert die Perfektionistin ihre Streberinnenteller als Küchenchefin nun hier. Perfektion – für die einen eine lähmende Illusion, für Andere kompromissloser Antrieb.
Wenn man Perfektion vom eigenen und dem Ego der Agierenden entkoppelt und die Erschaffenden als Vehikel für eine Idee, für eine Vision oder für einen unsichtbaren Musenkuss erkennt, geht es um bloße kindlich-naive Freude. Sich an Vollkommenheit erfreuen, die technische Beherrschung bewundern und sich selbstlos darin auflösen. Dabei geht es nicht darum, Perfektion als Angriff auf eigene Unzulänglichkeiten zu verstehen oder als Diktat einer einzuhaltenden Fehler- und Makellosigkeit. In der Perfektion legt man das Ego ab und verliert sich selbstlos an den Prozess des Erschaffens. Wenn das Ergebnis erreicht ist, gibt man es frei… und kehrt zu sich zurück. Perfektion nicht als „Du musst unfehlbar sein“ , sondern als „dein und anderer Erschaffenes darf in diesem Moment perfekt sein“ verstehen. Wenn es einer inneren Wahrheit so nah wie möglich kommt, ist es perfekt.
Perfekt finden wir im Übrigen den zweiten Gang: Blumen super, Kohl super und beide nun auch noch gemeinsam paddelnd in intensiver Currysoße vor uns. Der mit Sourcream-Tupfen behübschte frittierte Blumenkohl überrascht mit starker Umami-Note für so ein Durchschnittsgemüse. Gebeiztes Eigelb und crunchy Flakes obenauf buchen das Upgrade hinzu.
Palermo hilft über’s erste Völlegefühl hinweg und ebnet den Weg für die Folgedrinks in der Tiger Bar. Er wurde extra für’s Dessert entwickelt und offenbart sich als Gin-basierter Karottenmilkpunch, der vom Rum ausgezogen, mit Hafermilch geklärt und behutsam von der Blutorange betreut wurde. Memo an mich: In meinem Drink schwimmt Karottengrün. Es ist ein Smoothie! Und wer Fotosynthese kann, kumpelt halt gern zusammen ab. Der Blick wandert demnach fast fremdbestimmt auf das cholorphyllige Bild an der Wand:
„Ist das ein Foto oder ein Gemälde?“ frage ich Patrick, der von meinen Fragen erschöpfter als vom Service wirkt, aber tapfer berichtet, dass die Künstler*innen an diesen Ort im Dschungel gefahren seien und das auf dem Bild abfotografierte Pflanzenessemble vor Ort mit weißer Farbe besprüht hätten, um nach getrockneter Arbeit originalgetreu nachzupinseln, was vorher geblankt wurde. Fertig gemalt und abfotografiert hängt es nun hier und ich schüttele in den Kopf, renne nervös hin und her, um diese Matruschka-eske Idee von allen Perspektiven zu inspizieren. Krank! Ich mag Menschen, die so denken! Ich setze mich hin und das Glas an.
Ja, wer kommt denn da? Das Karottengrün hat ja bereits gespoilert. Gnadenlose Möhren-Variation im Dessertmodus: Der dekonstruierte Karottenkuchen wird in Marzipan getränkt, was ich ausgesprochen vernünftig finde, der Frischkäseschaum beruhigt wieder etwas, damit fermentiertes Karottensorbet mit intensiver Ingwernote den Rausschmeißervogel abschießt. Ab jetzt denke ich nur noch mit dem Knie!
Das sagte jedenfalls auch Joseph Beuys, dem in Form einer Neon-Hommage an der Wand gehuldigt wird. Das Knie erstreckt sich als blau-rot-leuchtendes Scharniergelenk orthopädisch akkurat über eine Ecke des Gastraums. Das größte Gelenk des menschlichen Körpers wartet mit allerlei Firlefanz auf - Kapseln, Menisken, Knorpel und Sehnen und der ganze Zinnober nur, um von A nach B zu gelangen. Knietief drin in der Metaphorik. Aber man soll ja den Zauber nicht in seine Elemente untergliedern, dann ist alles nur halb so schön. Außerdem brauche ich noch Philosophiestoff für die Tigerbar, in die wechseln wir jetzt nämlich und wer nicht denken will, fliegt raus.
Alles andere Wissenswerte über das Restaurant Panama findest du auf der Homepage:
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Fotos, Text © Michaela Bauer