Seven Swans alive! Zu Gast bei Ricky Saward.
Seven Swans alive! Zu Gast bei Ricky Saward.
Ein Glücksfall für die vegane Küche.
Ricky Saward liebt Herausforderungen. Im Juli 2020 beschloss er, aus dem damals noch vegetarischen Restaurant „Seven Swans“ tierische Produkte komplett zu verbannen. Wäre das nicht schon Challenge genug? Nicht für den 32-jährigen, der auch noch auf Saisonalität und Regionalität Wert legt. Etwas, das ihm sogar noch mehr am Herzen liegt, als dass das Restaurant vegan ist. Gemüse wird eigens für das Restaurant in nachhaltiger Permakultur angebaut, Wildkräuter, Pilze und Co. werden in der entsprechenden Jahreszeit gesammelt und haltbar gemacht.
Im Frühjahr wird man Saward also vermutlich häufiger in der Natur des Frankfurter Umkreises finden können. Wer diesen Hintergrund kennt, der versteht, dass die im Seven Swans verwendeten Produkte keineswegs weniger wert sind als die sogenannten Luxusprodukte. Sie sind wertvoll im dreifachen Sinne: im kulinarischen, im ethischen, aber auch finanziellen. Letzteres muss auch erwähnt werden, da häufig noch Unwissenheit darüber besteht, dass Gemüse in exzellenter Qualität seinen Preis hat und diesen auch verdient hat. Wer jetzt schon überfordert wäre, mit diesen Einschränkungen ein Menü auf die Beine zu stellen, der wird höchstwahrscheinlich gleich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen: Auf Gewürze wird im Frankfurter Sternerestaurant nämlich ebenfalls verzichtet!
Kann das gut gehen? Es ging gut, sehr gut sogar: 2020 wurde das Seven Swans als erstes veganes Restaurant der Welt mit einem Stern ausgezeichnet. Und das liegt vor allem an dem spielerischen Ehrgeiz, der Neugier und dem Kochtalent von Ricky Saward. Einschränkung heißt nämlich auch Fokussierung und zwingt zur Kreativität.
Fleisch oder Fisch vermisst man während des 7-gängigen Menüs zu keiner Zeit. Es ist keine Ersatzküche, die Saward hier anbietet, weshalb Tofu und Fleischalternativen keine Rolle spielen, sondern eine Küche mit eigener Berechtigung. Lediglich die klassischen Petit Fours am Schluss (Macarons, Madeleines etc.) werden in einer veganen Variante serviert. Doch dazu später mehr.
Der Abend beginnt im ersten Stock eines schmalen Hauses in einer Cocktailbar. Dort werden wir sehr charmant mit einem Cocktail begrüßt, der im Menü inbegriffen ist. Als nette Geste dürfen wir auswählen, ob Cidre oder Poiré in den Cocktail darf. Anschließend werden wir zu einem kleinen Aufzug gebracht, mit dem wir ohne Begleitung einige Stockwerke höher fahren und direkt in der Küche landen und von Ricky Saward begrüßt werden. Das hat etwas Abenteuerliches und macht Spaß. Anschließend werden wir die Treppe hinunter in einen der kleinen Gasträume geleitet, der mit nur 4 Tischen bestückt ist, so dass eine Art Wohnzimmeratmosphäre entsteht.
Zum Menü wird eine feste Weinbegleitung aus drei Gängen angeboten, die durch einen Dessertwein ergänzt werden kann. Die Weine begleiten jeweils zwei Gänge und harmonieren wirklich hervorragend mit den Speisen, auch wenn ja bekanntlich Naturweine nicht jedermanns Sache sind.
Der Service ist aufmerksam und authentisch freundlich. Auf die Herkunft der Zutaten und die Idee der Gerichte wird hingewiesen, aber niemals dogmatisch oder belehrend, wie das in der veganen Szene manchmal vorkommt. Insgesamt hat man den Eindruck, dass das gesamte Team mit Freude und Begeisterung bei der Arbeit ist und das überträgt sich auch auf die Gäste.
Zum Start wird ein Cracker aus Leinsamen mit einer Leinsamencreme serviert, die mit geröstetem Malzpulver bestreut wurde. Ein augenzwinkernder Hinweis auf das Klischee des „Körnerfressers“. Dass man die Chips teilen und mit den Fingern essen muss, trägt zur Lockerung der Atmosphäre bei. Die in der Creme enthaltene Miso aus Gerste und Emmer ist selbstverständlich ein Eigenprodukt und gibt dem Ganzen eine „käsige“ Note.
Weiter geht es mit dem nächsten Veganer-Klischee: Salat. Dieser ist hübsch zu einem Strauß gebunden und soll – ebenfalls mit den Händen – durch eine Emulsion aus grobem Senf, eigens hergestelltem Apfelessig und Kräutern gezogen werden. Das die Emulsion umschließende Öl wurde mit den klassischen Kräutern der Frankfurter Grünen Soße mithilfe des prominent im Gastraum stehenden Rotationsverdampfers sanft aromatisiert. Thematisch passend durften noch ein paar Senfblüten auf der Emulsion Platz nehmen. Ein Gang, der Spaß macht!
Als dritter Snack wird ein geröstetes „Butterbrioche“ serviert, an dem Saward lange experimentiert hat. Auf dem Brioche befinden sich eine Créme von geräucherten jungen Möhren und eine Emulsion aus Stangenselleriesaft und Sellerieblatt-Öl. Die Selleriecreme bringt mächtig Umami in das Gericht, geht aber als Einzelkomponente etwas unter. Als Option wären hier vielleicht einige Würfel oder Scheiben vom Stangensellerie möglich gewesen. Aber eigentlich ist dies auch nicht so wichtig, denn es handelt sich hier eindeutig um einen „Schmackofatz“-Gang! Nicht unterschlagen wollen wir aber noch die gepickelten Möhrenblüten und Tagetesblüten, die sich farblich und aromatisch gut einpassen.
Der selbstverständlich regional angebaute Mais wird in zweierlei Weise geehrt: Als gegrillter junger Mais mit ebenso junger Miso und als ein Tartelette mit Aktivkohle, in dem sich eine geräucherte Créme aus der ausgewaschenen Maisstärke befindet. Garniert wurde das Ganze mit Maiscrackern, wunderbar aromatischen Maistrieben und einer Borretschblüte. Spannend auch der in Südamerika gerne gegessene Maisbrand (Huitlacoche). Leider ist das Tartleette selbst etwas zu dick. Die geräucherte Creme kann zwar geschmacklich mithalten, aber die anderen Komponenten gehen etwas unter.
Alle Snacks 7/10
Der erste Gang wird serviert: Auf dem Holzkohlegrill gegrillter Blumenkohl kombiniert mit lange geschmorten und daher sehr gemütlich schmeckenden Zwiebeln. Die Süße der Zwiebeln wird durch ein Öl aus gerösteten Lupinen mit Kakao- und Röstnoten gut balanciert. Gleichzeitig dient dieses als aromatische Brücke zum gerösteten Blumenkohl. Einreduzierter Sauerkrautsaft und eingelegte Holunderblüten sorgen für eine gewisse Säure. Ein Gang der gleichzeitig Wohlfühlessen und komplexe Hochküche ist. Kein Wunder, dass die ersten Gäste links und rechts verschämt den Teller ablecken. Gelungen ist hier auch, dass jeder Bissen anders schmeckt und jede Zutat ihren Platz im harmonischen Ganzen vorbildhaft erfüllt. Das ist große Kochkunst!
9/10
Umami satt bietet auch der nächste Gang. Das Risotto aus fermentierten Shitakepilzen, Gerste und Hirse hat so viel Power, dass Ausgleich in Form von reichlich roh gehobelten Champignons von Nöten ist. Ergänzt wird das Pilz-Sujet durch Champignonpulver. Knoblauchrauke oben und Bärlauchkapern unten sind für die sehr dezente Allium-Note zuständig, während die auf dem würzigen Risotto platzierten Traubenscheiben Süße und eine leichte Knackigkeit beisteuern. Letztere hätten nach meinem Empfinden aber auch etwas dezenter eingesetzt werden können, da diese zu dieser Jahreszeit doch sehr süß sind. Dennoch ein gelungener Gang!
8 /10
Der nächste Gang widmet sich der Kartoffel und besteht aus zwei Teilen. Zunächst ein leichter Cracker aus der reinen Stärke mehliger Kartoffeln, der mit einer geräucherten Kartoffelcreme, gepickelten Zwiebeln, Franzosenkraut und Aster dekoriert wurde. Lecker!
Der zweite Teil orientiert sich an einem Lieblingsgericht des Kochs, Sauerbraten mit Kartoffelklößen. Als „Klöße“ dienen hier Hörnchen, die aus reiner Kartoffel bestehen. Vor dem finalen Gang in den Dämpfer, wurden diese mit Soße überzogen, was die „gebackene“ Optik erklärt. Leider sind die Hörnchen ein wenig dicht und „chewy“. Dieser Eindruck wird aber sicherlich auch von der Erwartung auf ein knuspriges Croissant verstärkt, die man beim ersten Anblick durchaus haben könnte.
Doch sprechen wir lieber über die göttliche „Sauerbratensoße“, die jeder echten Bratensoße weit überlegen ist. Faszinierenderweise wird sie nur aus drei Zutaten hergestellt: Zwiebeln, gerösteten Kartoffelschalen und getrockneten Trauben. Das grenzt an Alchemie! Erneut werden links und rechts die Zungen gezückt, um den Resten der Soße zu Leibe zu rücken. Diesmal schon weniger verschämt.
Die leicht bitteren Kräuter Gundermann, Schafgarbe und Aster passen aromatisch perfekt und bilden ein Gegengewicht zur süßlichen Soße.
7/10
Nach dem Kartoffelgang serviert Saward ein Pre-Dessert, für das man zunächst das auf dem leicht gesalzenen Pflaumensorbet sitzende Sezchuan-Pfefferkorn zerbeißen soll, um die leicht narkotisierende aber auch geschmacksintensivierende Wirkung zu aktivieren. Die restlichen Komponenten des Desserts lauten wie folgt: Beeren (Heidelbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren), gefriergetrocknete Himbeeren, Eingekochte Kiefernzapfen, Granité aus Sauerampfer, Waldmeistersirup mit Verjus, Lärchenöl, zu einem Gelee eingekochte Sauerkirschen des letzten Jahres, Rote-Beete-Pulver, Schildampfer, Pelargonienblätter und Fenchelgrün. Ein Best Of aus Wald und Wiese gewissermaßen. Zwar harmoniert alles sehr gut, aber die einzelnen Geschmackstöne verschwimmen dadurch auch etwas ins Undefinierbare. Lecker ist es aber allemal!
7/10
Vor dem Dessert wird noch ein salziger Gang rund um die letzten Tomaten des Jahres serviert. Hübsch drapiert befinden sich geräucherte, gegrillte und gepickelte Tomaten auf dem Teller. Letztere sind relativ sauer, zumal wenn man die gehäuteten Cocktailtomaten ganz isst. Ergänzt wird der Tomatenreigen durch ein Tomatenschalenpulver und aufgeschäumtes, sehr reduziertes Tomatenwasser. Umami pur. Brunoise von der Salzgurke, Gurkenröllchen und verschiedene Kräuter (Anisysop, Kapuzinerkresse…) komplettieren das Gericht. Ein solider Abschluss des salzigen Teils des Menüs, der aber nicht ganz die Klasse der ersten beiden Gänge erreicht.
6/10
Himmlisch ist hingegen das Dessert, für das der Küchenchef Möhrensaft mit dem Rotationsverdampfer schonend reduziert hat um dann ohne Zusätze ein Sorbet herzustellen, das wunderbar frisch und aromatisch schmeckt. Flambierte Physalis bilden ein herb-saures Gegengewicht. Eine Offenbarung sind die eingelegten Akazienblüten, eine wahre Geschmacksexplosion! Hafercrunch und Hafersud schmiegen sich an die erdigen Noten der Möhre hervorragend an und bringen Knusprigkeit bzw. Cremigkeit. Auf dem Sorbet befinden sich ein Keks- und ein Tagetesblatt, das sich aromatisch ebenfalls perfekt einfügt. Großartig an diesem Dessert ist, dass jeder Bissen anders, aber immer köstlich schmeckt. Weltklasse!
10/10
Zum Abschluss des Menüs präsentiert das Küchenteam eine Armada an veganen Mignardises, die sich an den klassischen Vorbildern mit Butter und Ei orientieren. Madeleines mit Rhabarbersirup und Verbene, Cannelés, Macarons mit dem Nougat von Sonnenblumenkernen, Kekse mit Akazienhonig und Hafer. Auch wenn die Backwaren zeigen, welch enormes Know-How sich Saward in veganer Patisserie angeeignet hat, reichen sie an die Originale was Textur und Geschmack betrifft leider nicht heran.
Dies liegt – wie bereits erwähnt – aber mehr an der Unmöglichkeit der Aufgabe als am mangelnden Talent und Willen des Kochs. Dass der Sternekoch hervorragende herzhafte vegane Gerichte mit eigenem Stellenwert kochen kann, die kein bloßer Ersatz sind, hat er eindrucksvoll gezeigt. Es ist ihm daher zweifellos zu zutrauen, dass er langfristig auch im Bereich der Petit Four eine eigene vegane Formen- und Geschmackssprache entwickeln wird. Das mit Erdbeersorbet gefüllten Hörnchen aus Buchweizenteig mit Fichtensprosse ist beispielsweise köstlich und funktioniert hervorragend.
Wie so oft kommt es bei diesem Thema auch auf die Perspektive an: Die Veganer unter den Gästen, immerhin sind dies die Hälfte, werden sich vermutlich über die gut gemachten veganen Kleinigkeiten sehr freuen, auch weil sie die Originale sonst nicht essen können. Hätte mir persönlich aber am Ende des großartigen Menüs etwas gefehlt, wenn ich mir vorstellen würde, dass es nur das leckere Erdbeerhörnchen gegeben hätte? Vermutlich nicht, und das ist vor allem als Lob der vielen wunderbaren Gänge zuvor zu verstehen!
6/10
Fazit: Das Restaurant „Seven Swans“ bietet insgesamt eine hervorragend gemachte Küche mit einigen wirklichen Highlights. Dass es zusätzlich noch vegan, saisonal, regional und nachhaltig aufgestellt ist, macht die Leistung von Küchenchef Ricky Saward nur noch bemerkenswerter.
Seven Swans
Mainkai 4
60327 Frankfurt (Main)
Tel: (0 69) 21 99 62 26
Text und Fotos: Tobias Henrichs , Instagram: @tobias__henrichs