Nico Burkhardt, Schorndorf - Video und Bericht
Nico Burkhardt, Schorndorf - Video und Bericht
Die kreative Verneigung vor der Klassik.
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Das beschauliche Schorndorf nahe Stuttgart ist zweifelsfrei eine der schönsten Städte des Remstals und von großer geschichtlicher Bedeutung für die Region. Sie brachte schwäbische Tüftler und Industrielle, wie Gottlieb Daimler und Herrmann Maier-Leibnitz hervor, und die malerischen Gassen und Fachwerkfassaden erzählen ihre eigene Geschichte von Römern, zornigen Bauern und württembergischer Grafen.
Kulinarisch betrachtet war die Stadt, trotz einer hohen Dichte an Spitzenrestaurants in der Region, bisher deutlich unterrepräsentiert - bisher.
Eines der schönsten Gebäude der Stadt, das Boutiquehotel Pfauen in der Höllgasse direkt neben dem Geburtshaus Gottlieb Daimlers hat seit September 2018 einen prominenten, neuen Pächter und Geschäftsführer: Nico Burkhardt. Der Berliner Spitzenkoch mit eindrucksvoller Vita hatte zuvor 7 Jahre lange das Zepter der Küche im Stuttgarter Restaurant Olivo im Steigenberger Hotel Graf Zeppelin fest in der Hand gehalten. Die Gelegenheit der Selbstständigkeit und eine Wirkungsstätte in hübscher Lage mit derartig viel Potenzial ließ sich Burkhardt natürlich nicht entgehen.
Selbstverständlich hält das Boutiquehotel seither auch eine Spitzengastronomie vor: Das Gourmetrestaurant Nico Burkhardt mit gerade einmal 8 (!) Sitzplätzen. Wie dem Restaurantnamen zu entnehmen ist, kocht hier der Meister selbst (und auch nur er!). Der Große Guide kürte Nico Burkhardt direkt zur Entdeckung des Jahres 2020 und auch so scheint sein beinahe einmaliges Konzept gut angenommen zu werden. Im ersten Stock kocht der hochdekorierte Stuttgarter Spitzenkoch Klaus Jäschke (ehem. Yosh*) im Restaurant Pfauen eine klassische, gutbürgerliche und regionale Küche und beschert dem Hotel somit ein weiteres Spitzenrestaurant mit 50 Sitzplätzen - eine schöne kulinarische Aufwertung der Schorndorfer Innenstadt allemal.
Eins nach dem anderen, heute geht es ins schnuckelige Gourmetrestaurant. Nico Burkhardt bietet hier ein Empfehlungsmenü von 4-6 Gängen am Abend an (€ 106 bis € 139,--).
Der kleine aber feine Gastraum ist in Holz- und Kupfertönen gehalten und versprüht ungezwungene Fine Dining Atmosphäre durch elegante Rustikalität und Vintage-Design. Unsere Gastgeberin, Bianca Vergeraki, wird uns herzlich und souverän durch den Abend begleiten, womit das perfekte Setting für einen schönen, kulinarischen Abend bereits gesetzt ist.
Zum Aperitif serviert Burkhardt (wie auch schon im Olivo) eine beträchtliche Anzahl an fein gearbeiteten und kreativ inszenierten Apéros. Der buchstäbliche Evergreen darunter ist die flüssige Olive, eine sphärisierte Olive, welche im Mund aufplatzt und ein schönes, authentisches Aroma Preis gibt. Eine geeiste Gazpacho im Reagenzglas ist ebenfalls präzise und lecker abgeschmeckt. Genauso die Gin Tonic-Gurke, mit gekonnt austariertem Geschmacksbild, so dass man direkt Lust auf die flüssige Variante bekommt. Ein Chicken-Tandoori-Lolly mit feinem Schmelz, elegant softer Textur und etwas Knusper wird auf einem Minigrill präsentiert. Der Geschmack hätte unser Lieblings-Inder nicht besser hinbekommen. Noch überzeugender sogar ist der Pilzring, welcher am Finger einer in allen Farben leuchtenden "Rocking Faust" serviert wird. Die feine, umamireiche Pilzcreme mit feinen Pilzen auf einem leckeren Cracker ist eine echte Wucht. Ein sowohl visuell als auch kulinarisch vielversprechender Start!
„Ab ins Badezimmer" lautet der Titel des Amuse Bouches, welches stilecht in einer Badewanne serviert wird. Kleine Gänseleber-Entchen schwimmen darin und sind elegant mit Himbeere, Crue de Cacao und rote Beete kombiniert. Letztere auch als Schaum, um die Badewanne möglichst visuell authentisch wirken lassen. Ein gereichtes, kleines Handtuch ermöglichst das Waschen der Hände nach den Fingersnacks ohne aufstehen zu müssen - sehr aufmerksam.
Die Detailverliebtheit steht glücklicherweise nicht über dem Geschmack, welcher gekonnt zwischen Erdigkeit, Süße und Fruchtsäure changiert und mit dem feinen Geschmack der Gänseleber eine schöne Liaison eingeht. Auch wenn diese Zutatenkombination sicherlich kein aromatisches Neuland ist, so gelingt es Burkhardt durch textuelle Elemente und Temperaturunterschiede (Himbeer-Sorbet) einen kurzweiligen und präzisen Genuss zu erzeugen - sehr schön.
À part werden noch kleine Gänseleber-Tartelettes serviert, welche die Aromatik des Amuse Bouches klein und präzise aufgreifen und vor allem durch den feinen Schmelz der Gänseleber sehr kurzweilig sind.
Apropos Badezimmer. Vor dem eigentlich Menü werden themengerecht noch eine Gänseleber-Zahnpasta nebst Zahnbürsten serviert. Die Gänseleber wurde hier ganz klassisch mit Madeira und Portwein aromatisiert und in Tuben gefüllt. Der Geschmack der Gänseleber ist absolut hervorragend und erinnert etwas an gereiften Käse. Burkhardt kombiniert hier kreativen Einfallsreichtum mit französischer Klassik ohne das Gericht an sich zu interpretieren - gerne mehr davon!
Das Empfehlungsmenü startet offiziell mit Seesaibling, Salatgurke, Avocado, Rettich, Tapioka und Kaviar und somit mit einem aromatisch leicht und frisch angelegten Pleaser, der einen unkomplizierten Start verspricht. Burkhardt holt aus der vertrauten Aromatik der Zutaten das Maximum heraus und flankiert das kühle, vorher leicht gegarte Saiblingsfilet geschickt mit den übrigen Zutaten in verschiedenen Temperaturen und Texturen. Etwas nussig jodiger Kaviar vervollkommnet den unbeschwerten Genuss. Ein gelungener Start.
In völlig anderen Geschmackswelten bewegt sich der nächste Gang. Das Schwarzfederhuhn à la Caesar Salad ist eine echte Geschmacksbombe. Ein mit Caesar Salat-Aromen gespicktes Romana-Salatherz mit Dijon-Senfcreme und frittierten, knusprigen Kapernäpfel wird von zwei Tranchen Schwarzfederhuhn, einem Parmesan-Chip und - jetzt kommts - einer grandios dichten mit Senfsaat versetzten Geflügeljus angegossen. Der Kontrast zwischen dem kühlen, knackig, cremigen Salatherz mit der intensiv klassischen Jus mit perfekter Salzkonzentration und dem perfekt gegarten Huhn ist schlichtweg phänomenal. Dieses Gericht ist bestimmt die herzhafteste und befriedigendste Variante eines Caesar Salats, welche wir je gegessen haben. Chapeau!
À part gibt es noch einen krossen Hühnerhaut-Chip mit einem kleinen Caesar-Salad. Ebenfalls sehr lecker!
Die Kombination von klassisch, rustikalen mit dezenten Aromen ist auch Thema des Fischgangs. Passend dazu auch der Name "Heilbutt mal rustikal", wobei rustikal hier wirklich buchstäblich zu interpretieren ist. Man könnte den Gang fast genauso gut "Schlachtplatte mit Heilbutt" betiteln, denn Burkhardt kombiniert den Fisch mit Sauerkraut, Bratkartoffel (und Püree), Blutwurst (Boudin Noir) und einer Kümmelnage. Was sich im ersten Moment ziemlich irritierend anhört, ergibt ein ziemlich harmonisches Geschmacksbild. Bei der Dossierung des Kümmels entscheiden Nuancen über Wohlgeschmack und Missvergnügen, aber sobald man den Bogen raus hat, macht das Gericht viel Spaß. Die wunderschön in Muschel-Form gebrachte Boudin Noir bringt nicht nur optisch schön ein, sondern unterstützt das Ensemble noch mit Herzhaftigkeit und Cremigkeit. Ein absolut schöner und unkonventioneller Gang.
Dass Nico Burkhardt ein ausgesprochener BBQ-Fan ist, wird beim Hauptgang deutlich. Hier serviert er ein 24 h gegartes, mit BBQ-Sauce glasiertes Short Rip mit Maistexturen (Espuma, gegrillt, Popcorn, gepickelt und als feiner Crumble), Pimento, Brombeeren und Rauchjus. Das Fleisch ist butterzart, saftig und fällt vom Knochen, die intensive, (widererwartend) klassisch abgeschmeckte Jus ist zum Verrücktwerden gut und auch so vereinen sich die Aromen erwartungsgemäß wunderbar miteinander. Die Brombeeren mit ihrer kohärenten Säure und ein leckeres Pimento-Püree runden den Teller sehr schön ab. Ein sensationeller Grillteller mit exzellentem Aromenspiel aus der Hand eines Grill-Enthusiasten und das schmeckt man!
Separat gibt es noch etwas knuspriges Popcorn auf einer Pfeife angerichtet - kreativ und kurzweilig.
Eine Caprese à la Nico Burkhardt bildet den Käsegang des Abends. Natürlich wieder mit klassischen Komponenten, jedoch modern und kreativ interpretiert. Eine Burrata-Kugel, welche mit einem Tomatengelée überzogen wurde, um die Optik einer Tomate zu imitieren, wird von einem Tomatensorbet und einer Art Sugo, Olivenöl-Staub und -Sphären sowie 25 Jahre altem Aceto Balsamico begleitet. Das bekannte, unverfälschte, aber natürlich dadurch auch zu vertraute Aromenspiel wird von den unterschiedlichen Temperaturen und veränderten Texturen elegant diversifiziert. Das macht den Teller wesentlich kurzweiliger, aber natürlich auch nicht wesentlich leckerer, wie die klassische Variante beim guten Italiener. Nichtsdestoweniger ein schöner Einschub.
Das pre-Dessert hört auf den Namen "Ice Ice Baby" und erfrischt mit Eistee, Yuzu Sake und Minze. Eine hervorragende, belebende und nicht allzu gefällige Aromenkombination, welche durch die leichte Herbheit des Sake erzeugt wird. Wunderbar!
Das eigentliche Dessert, eine Kombination aus Mango, Kokos, Sesam, Rosa Ingwer und Original Beans - Edelweiß, schließt das Menü sehr schön exotisch ab. Auch hier beweist Burkhardt sein Händchen für Aromenspiele. Die reine, weiße Schokolade der Edelweiß-Bohnen mit immerhin rund 40% Kakao harmoniert wunderbar mit dem exotischen Aromenbild von Mango und Kokosnuss, welches von Sesam(-crackern) und eingelegte Rosa Ingwer von der Karibik in den asiatischen Raum getragen wird. Texturelle Vielfalt und unterschiedliche Temperaturen, machen das Dessert schön kurzweilig. Mehr braucht es eigentlich nicht.
Eine beeindruckende Auswahl an Pralinen und süßen Snacks hat der Meister dann auch noch selbst gefertigt. Neben dem überzeugenden Geschmack setzt Burkhardt auch hier wieder (wie zu Anfang) auf eine ästhetische und kreative, optische Inszenierung, wie beispielsweise ein Apfel-Cracker-Ring am Bäumchen oder ein Praliné in einer Matrjoschka-Puppe. Großes Kino ohne jegliche Posse.
Völlig zufrieden und gesättigt schlendern wir durch die schön beleuchtete Schorndorfer Altstadt. Eine Stadt, die im Remstal jetzt auch kulinarisch von sich reden macht - Nico Burkhardt &Team sei Dank. Gute Nacht!
Auch die Weinreise konnte sich sehen lassen. Die Weine waren gut auf die Gerichte abgestimmt und wurden mit viel Freude und sympathisch von Bianca Vergeraki erklärt.
Apéritif: |
Nicolas Feuilatte, Réserve Exclusive Brut Champagne |
1. Gang (Saibling) |
Weingut Escher, Stettener Pulvermächer Riesling Goldréserve, 2016 |
2. Gang (Ceasar Salad) |
Weingut Stigler, Stigler's Weißburgunder & Chardonnay, 2017 |
3. Gang (Heilbutt) |
Domaine de la Louvière, La Libertin Sauvignon Blanc, 2016 |
4. Gang (Short Rip) |
Les Vignerons du Brulhois, Le Vin Noir AOC, France, 2014 |
5. Gang (Burrata) |
Château Roubine, La vie en rose, 2018 |
6. Gang (Dessert) |
Familie Lafage, Miraflors Lafabuleuse, 2017 |
TEAM
FAZIT:
Technisch anspruchsvoll, kreativ und mit klarem Bekenntnis zur französischen Kochkunst - Nico Burkhardts Küche gehört sicher zu den spannendsten und kurzweiligsten der Region und darüber hinaus.
Text, Video und Fotos © les-etoiles.de