Im Schloss Filseck bei Daniele Corona
Im Schloss Filseck bei Daniele Corona
Das Restaurant Schloss Filseck im beschaulichen Uhingen hat sich immer mehr zu einem Stammrestaurant entwickelt. Seit unserem letzten Bericht (2020) haben wir es rund ein halbes Dutzend Mal besucht und wurden Zeuge einer beindruckenden Entwicklung.
Die Gerichte von Küchenchef Daniele Corona und Souschef Riccardo Rossi verkörpern Kraft, Geradlinigkeit, Leidenschaft und eine ganz besondere, eigene Auffassung und Interpretation von italienischer Küche, gerne auch als Reminiszenz an die eigene Kindheit. Langsam war es wieder Zeit für eine kleine, schriftliche Bestandsaufnahme. Hier ist unser Bericht.
Außenansicht (aufgrund des Schneegestöbers von einem früheren Besuch)
Vielleicht passt das Schneegestöber im Januar nicht wirklich zu einem italienischen Abend. Das Renaissance-Schloss Filseck im schwäbischen Filstal (rund 40 km südöstlich von Stuttgart) liegt weiß bepudert vor uns, und das Knirschen von Schnee unter unseren Schuhen ist ein echtes Novum, während wir den malerischen Schlosshof passieren. Der historische Gastraum mit dezenter, behaglicher Beleuchtung wärmt das Gemüt sofort wieder auf und bringt den Gast in jene Welt, von welcher wir seit einigen Jahren kaum genug bekommen. Über die Geschichte und das Setting des Restaurants hatten wir bereits ausführlich geschrieben.
Neben viel Konstanz gibt es seit unserem letzten Bericht auch personelle Änderungen. So kocht seit gut 2 Jahren Ricardo Rossi als Sous-chef an Coronas Seite und bereichert die Kreationen mit Norditalienischen Einflüssen. Es ist schon brillant, wie sich die beiden die kulinarischen Bälle zuspielen und im ganzen Team Kindheitserinnerungen mit italienischer Avantgarde fusionieren. Auch die schwäbische Region wird dabei nicht unterschlagen und blitzt immer wieder in den Kreationen hervor.
Die einzelnen Gänge im Menü werden mit wenigen Worten italienisch poetisch tituliert. Natürlich wählen wir das volle Programm (7 Gänge, € 175,--). Von der kompakten, aber recht gut sortierten Weinkarte suchen wir ein paar Flaschen aus. Und während in unserem Glas bereits der Mandois Champagne Blanc de Blancs 2017 (€ 19,-- pro Glas) fein vor sich hin blubbert, beginnt die Küche mit einer Armada an kulinarischen Kleinkunstwerken.
Bereits an den Apéros lassen sich die Ambitionen und Entwicklung der Küche direkt erkennen. Wo noch vor drei Jahren (beinahe) klassische Antipasti (Schinken, Salami, Oliven oder marinierte Tomaten) mit Brot serviert wurden, fährt die Küche mittlerweile mächtig auf. Während sich die Piadina mit Südtiroler Wagyu-Ragout-Füllung noch eher unauffällig verhält, sorgt ein hervorragendes Filot-Teig-Tartelette mit Tafelspitz, Salsa Verde und gepickelter Karotte für das erste Ausrufezeichen des Abends. Auch das fluffige Rote-Beete Blini mit Crème Fraiche und N25 Osietra Kaviar makellos umgesetzt.
Das Servieren von zwei Pizza-Interpretationen finden wir ebenfalls einfallsreich. Hierzu nimmt sich Daniele Corona – merklich mit Augenzwinkern - die häufig umstrittene Pizza Hawaii vor, welche er nahezu vollständig umkonstruiert. Als Basis verwendet er Krapfenteig und die Tomatengrundlage wird durch eine Physalis-Sauce ersetzt, hinzu kommt geschmorte Ananas und klassisch: Prosciutto Cotto. Das Ganze erinnert geschmacklich ein wenig an schwäbische Fasnetsküchle, nur wesentlich eleganter, exotischer und mit herzhaften Twist. Die zweite "schwäbische" Interpretation ist dann wesentlich herzhafter und ohne Krapfenteig, dafür mit Käse-Fondue und Saitenwürstchen. Saulecker, kreativ und herrlich ironisch das Ganze.
Soffritto, oder auch der klassische, italienische Saucenansatz aus Zwiebel, Möhren und Staudensellerie steht im Fokus der nächsten Petitesse und wird als Espuma neben einem gedämpftes und anschließend geflämmtes Brötchen (eine Art Bao Bun) mit Bolognese-Füllung. Naturgemäß ist die Soffritto die Vorstufe der Bolognese, womit sozusagen eine Morphologie oder Evolution zur Bolognese an sich hergestellt wird. In diesem Fall stellt sich auch ein wundervoller Kontrast zwischen dem eher üppigen Schaum und des puren Geschmacks der Bolognese ein. Genug des Nachdenkens und Sinnierens! Es schmeckt absolut hervorragend und saulecker.
Natürlich darf auch ein traditionelles Pasta-Gericht im Amuse-Aufgebot nicht fehlen. Hierzu serviert Corona seine eigene Version von Pasta alla Chef, indem er kleine Mortadella-Würfel, grüne Erbsen, Kräuterseitlinge in einer schlotzigen Pecorino-Sauce („Käse-Fondue)“ und Erbsencreme mit handwerklich sensationellen Tortellini (mit Tomatenfüllung) präsentiert. Dieses Gericht hätten wir auch den ganzen Abend in großer Portionierung durchessen können. Die Nudelkreation lässt allerdings die gleichzeitig à part servierte und zweifellos hervorragende Matriciana von der Wagyu-Zunge mit Kerbelwurzelschaum und fermentierter Pienello Tomate etwas in den Hintergrund rücken. Himmlisch und zum Finger ablecken gut das Ganze!
Auch die Brotauswahl verdient diesen Namen nicht, denn in Wahrheit unternimmt die Küche hier eine Expedition durch verschiedenste italienische Regionen. Es gibt u.a. Focaccia, ein knuspriges Stück Lasagne, Wild-Paté und die bereits zum Markenzeichen gewordenen Trüffelbutter-Kerze, welche immer ein grandios leckerer Hingucker ist. Leidenschaftliche Back und Kochkunst, welche sich sogar beim Brot-Gang äußert. Toll!
Offiziell ins Menü starten wir mit der Roman Experience, welche schon fast zu einem Signature-Dish der Küche avanciert ist. Im Zentrum des Haupttellers befinden sich drei Eigelb-Ravioli, deren Hülle aus 100%igem Demeter Eigelb, ohne weitere Zusätze bestehen. Die Füllung besteht aus einer milden Cacio e Pepe-Creme, welche dem Raviolo Üppigkeit und einen angenehmen Schmelz verleiht. Der wahre Star des Gerichts ist aber die intensive Brühe vom Juvenil Spanferkel, für welche ganze geröstete Spanferkel ausgekocht wurden. Das Resultat ist eine wunderbare Tellerharmonie. A Part wird noch eine Schale mit Junivel-Ferkel-Ragout und einem Carbonara-Schaum serviert, welcher die Seele dann endgültig in Geiselhaft nimmt. Intensiv, heiß, salzig, schlotzig und tief befriedigend.
Schon jetzt spielt die Küche auf und widmet sich dem Thema Ente & Risolatte, zu Deutsch: Milchreis. Dass das Federtier aus der Zucht von Jean Claude Miéral stammt, ist beinahe - angesichts Daniele Coronas hohen Qualitätsansprüchen - nur eine kleine Randnotiz wert. Die Basis für das Gericht besteht aus einem intensiven Enten-Ragout, mit säuerlich-aromatischen Safran-Quitte-Würfeln und geräucherten, piemontesischen Haselnüssen, welche von einem großzügigen Schöpflöffel Milchreis am Tisch bedeckt wird. Der „Milchreis“ ist dabei mehr ein cremiges Risotto, welches aufwendig aus einer selbst angesetzten Haselnuss-Milch und einer Parmesan-Sauce Bechamel gekocht wurde. Auf einem kleinen Podest thront zudem ein, über Holzkohle gegrilltes und angeräuchertes, Stück Entenbrust, welches wie ein Lolli am Stiel gegessen werden kann. Wieder haben wir vor uns ein intensives Aromenfeuerwerk, diesmal etwas komplexer und noch intensiver, aber ohne dabei überzustrapazieren. Das nächste Soulfood-Gericht und wieder ein Volltreffer.
Gerne erweist Daniele Corona großen italienischen Köchen in seinen Menüs die Ehre. Schon in unserem letzten Artikel, berichteten wir über eine Hommage an Massimo Bottura, indem sich Corona fünf Textur- und Alterungsstufen des Parmesans widmete, diese jedoch schlussendlich aromatisch eigenständig umsetzte. Der bekannte, vor wenigen Jahren verstorbene, italienische 3-Sterne-Koch Gualtiero Marchesi liefert heute die Inspiration für das nächste Gericht. Marchesi gilt als Erfinder des offenen Raviolo, bei welchem die Enden nicht verklebt werden, sondern zwei Nudelteig-Blatten wie eine Art Sandwich übereinandergelegt werden. Als Füllung nimmt die Küche eine großartige Mélange aus Kalbsherzbries, Gänseleber, Artischocke und einen Hauch Lakritz. Abgerundet wird das Ganze mit altem Balsamico (15 Jahre). Die erneute Steigerung des Niveaus und das gekonnte Spielen mit feinen Bitternoten macht den Teller zur absoluten Granate. Italienische Hochküche par excellence und ganz große Klasse.
Im nächsten Gang verlegt die Küche den kulinarischen Kompass an die atlantische Küste. Hierzu legt Corona bretonisches Hummer-Fleisch über Nacht in eine Marinade aus Joghurt und Kräutern, wodurch das Fleisch, mittels Aufbrechen der Proteinstruktur durch die Milchsäure noch zarter wird. Bisher war uns diese Zubereitungsform nur von Hähnchen (etwa in Buttermilch) bekannt. Das, nun mit Joghurt überzogene, Fleisch wird von der Küche anschließend kurz meliert und in Öl ausgebacken. Das Resultat ist zwar weniger zart als erwartet, aber der Joghurtmantel mit knuspriger Panierung steht dem glasigen Krustentier im Innern ausgesprochen gut und steuert eine angenehme Säure hinzu. Hinzu kommt ein ausgesprochen feiner Sud aus Hummer, Pinello-Tomaten und intensiv würzigen Basilikum-Öl. Das Podest für den „crispy“ Hummer bietet die sämig eingekochte toskanische Tomaten-Brotsuppe (Pappa al Pomodoro), welches dem Teller neben seiner eher leiseren Aromatik und mit etwas Pancetta von Suino Nero di Parma viel Intensität verleiht. Die Küche bleibt auf dem Gaspedal, was auch hier hervorragend gelingt, da sich die säuregetragene Frische und Intensität hier wunderbar leichtfüßig die Bälle zuwerfen. Großartig.
Es gibt tatsächlich nur wenige Zutaten, bei denen wir mit einer gewissen Grundskepsis behaftet sind. Der Protagonist des Hauptganges gehört ohne Zweifel dazu. Es gibt nämlich Zunge vom Südtiroler Wagyu-Rind. Zu oft war uns der prägnante penetrante Geschmack dieser Muskelspezialität, welche nomenklatorisch zu den Innereien gehört, zu dominant oder unsouverän eingebunden. Hier ganz und gar nicht. Corona gart die Zunge sous-vide, grillt sie danach über Holzkohle und toppt sie anschließend mit Sellerie und Ravioli von der Kerbelwurzel. Anschließend hobelt er eine anständige Menge italienischen, schwarzen Trüffel über die belegte, butterzarte und leicht rauchige Innerei, was ihr einen feinen erdig-petroligen Unterton gibt. Hinzu kommen ein intensiver Wagyu-Jus, geräucherte Maronen-Creme und ein Kerbelwurzel-Püree.
Das mag sich fast nach „zu viel des Guten“ anhören, allerdings gibt das Gesamtgeschmacksbild Daniele Corona definitiv recht. Nirgendwo sonst konnten wir - als leichte Zungen-Skeptiker - dieses Produkt zuvor so zugänglich und rund eingefasst erleben. Dass dabei unkoventionellerweise auf leichte Camouflage mittels Rauch und Umami gesetzt wird, ist ziemlich erstaunlich. ...
... À part gibt es dann noch ein intensives Zungen-Ragout mit einer Haube aus einem Kartoffel-Kerbelwurzel-Espuma und schwarzem Trüffel, welcher aromatisch den Haupt-Teller geschickt repetiert und Ihm etwas Sahniges verleiht. Volle Aromen-Attacke, beeindruckend rund und saulecker.
Nachdem die Küche aus beiden Rohren heiße, intensive Aromenfeuerwerke abgefeuert hat, übernimmt nun die Patisserie aka Alina Wolf. Dabei interpretiert sie den Dessert-Klassiker der Emilia-Romagna, die Zuppa Inglese (deutsch Englische Suppe), als Winter-Version um. Anstatt Löffelbiskuit gibt es weihnachtlichen Panettone, welcher wie ein French Toast eine Hülle aus Ei und Milch bekommen hat. Die Vollendung erfolgt klassisch mit einer fruchtigen Himbeersauce, welche mit dem Likör Alchermes arrondiert wurde, sowie ein Schokoladen- und Vanille-Eis. Makellos und sehr lecker.
Das Hauptdessert kickt dann mit viel frischer Säure. In einem Kelch spielen sich verschiedene Zitrusfrucht-Zubereitungen auf unterschiedlichen Textur- und Temperatur-Ebenen die Bälle zu. Ein samtiges Zitrus-Mascarpone-Espuma dient als Podest für ein Topfen-Bergamotte-Eis, Limetten-Sorbet, in Olivenöl marinierte Pomelo-Segmente und getrocknete Mandarinen-Scheiben und Baiser-Stücke. Trotz seiner Komponenten-Vielfalt ist das Dessert keinesfalls verkopft, sondern spielt sensationell mit geschmacklichen Akzenten, macht enormen Spaß und sorgt für einen tollen Erfrischungsmoment. Klasse!
Auch wenn nach all der Opulenz schon allmählich die Sättigung einsetzt, freuen wir uns auf den bereits langsam herbeirollenden Käsewagen, welcher stilecht aus Olivenholz gefertigt ist. Die Auswahl überlassen wir sehr gerne dem Maître und so landet eine schöne Auswahl an verschiedenen Daniele Coronas „Lieblingskäse“-Sorten mit reichlich Conditments zusammenstellen. Eine wahre Freude.
Auch der üppig sortierte Pralinenwagen ist eine Klasse für sich und setzt den Schlusspunkt unter den kulinarisch außergewöhnlichen Abend. Zweifelsohne gehören Daniele Corona, Ricardo Rossi und das gesamte Team zur italienischen Avantgarde Deutschlands. Besser, authentischer und leidenschaftlicher kann man italienische Küche in Deutschland wohl kaum erleben. Das heutige Menü war – wohl auch der kalten Jahreszeit geschuldet – wesentlich üppiger und intensiver, wie wir es erwartet haben, ging dafür direkt ins Herz und legte sich wie ein warmer, liebevoller Balsam auf unsere Seele.
Tief zufrieden, erfüllt und herzlich umsorgt verlassen wir das Restaurant. Der hauseigene Limousinen-Service bringt uns sicher durch das Schneegestöber nach Hause. Auf bald!
Alkoholische Getränkebegleitung
Das Team
Der Küchenchef: Daniele Corona
Fazit
Hervorragend, heiß, unaufgeregt, opulent und manchmal mit ironischem Augenzwinkern - so schmeckt der winterliche Genussrausch auf Schloss Filseck. Den Spagat zwischen Kindheitserinnerungen und italienischer Avantgarde kann man in dieser Form und seiner Eigenständigkeit wohl nur hier erleben. Unser italienisches Schlaraffenland und allgemeine Reservierungsempfehlung!
Restaurant Schloss Filseck
Filseck 1
73066 Uhingen
Tel: 07161 2 83 80
www.restaurant-auf-schloss-filseck.de
Text, Fotos © les-etoiles.de
auf Instagram zu erreichen unter: @les.etoiles_blog