Im Opus V, Mannheim - 2. Generation
Im Opus V, Mannheim - 2. Generation
Manche sagen "Urbannature" - wir sagen "Bämm!"
Fast 2 Jahre liegt unser letzter Besuch im Opus V zurück und es hätte fast nicht mehr in der Zwischenzeit passieren können. Ein neuer Küchenchef, eine Pandemie, und ein damit verbundenes neues Regel-Wirrwarr zu Beginn der Lockerungsphase.
Die Engelhorn-Gastronomie entschied sich trotz allem bereits am 27. Mai zu öffnen - mit Erfolg und eigenem Testzentrum vor dem Modehaus. Somit war unsere 2. Reservierung in diesem Jahr in Mannheim. Hier ist unser Erfahrungsbericht.
Der wunderbare Blick von der Terrasse im 6. Stock ist immer noch der alte. Nach rund 7 Monaten fühlt es sich immer noch unwirklich an, sich als Gast fühlen zu dürfen und die Annehmlichkeiten eines tollen Restaurants zu genießen. Gastfreundschaft kann man hier natürlich vorzüglich und der frühe Entschluss zu Eröffnen, hat durchaus zu unserer Wahl an diesem warmen Sommertag beigetragen.
Die Begrüßung durch Restaurantleiter Adrian Dastig und seiner Stellvertreterin Erzsébet Czakó ist unüberhörbar euphorisch und genauso herzlich wie vor 2 Jahren. Es fühlt sich richtig gut an, diese kulinarische Oase wieder betreten zu können. Natürlich sind wir umso gespannter, wie sich die Küche seit dem Weggang von Tristan Brandt entwickelt hat.
Der neue, alte Küchenchef heißt seit Mitte 2020 Dominik Paul und ist bereits fester Bestandteil der Küchencrew seit 8 Jahren. Im Jahr 2018 wurde er die rechte Hand Tristan Brandts und zum Executive Sous Chef und Creative Director befördert. Eine schlüssige Wahl nach dem Weggang von Tristan Brandt nach Heidelberg allemal. Dominik Paul kündigte an, weniger asiatisch, dafür aber mit mehr Nordischen Elementen arbeiten zu wollen - mit stärkerem Fokus auf die Region und Nachhaltigkeit. Er selbst bezeichnet seine Küche als "urbannature", welche die Ordnung und Geradlinigkeit der Stadt widerspiegeln soll und die wilde Schönheit und Gelassenheit der Natur aufnimmt und dabei kulinarisch neue Wege geht.
Das muss man erst einmal sacken lassen und das tun wir an diesem schönen Sommertag gemütlich auf der mondänen Terrasse.
Gewisse Elemente kommen uns dennoch vertraut vor. So tituliert die Menükarte - wie schon bei Tristan Brandt - jeden Gang mit dessen 3 Hauptzutaten und lässt den Gang über weitere Details und Zubereitungsformen im Überraschungsnebel. Da hatten wir damals schon nichts dagegen und heute natürlich erst recht nichts.
Die legere Einrichtung des Restaurants passt definitiv zu Pauls' Ankündigung, die Küche eher in die nordische Richtung zu transferieren. Die Stilistik mit blanken Kirschholz-Tischplatten und unverkleideten Decken würde man in Kopenhagen oder Stockholm wohl ähnlich vorfinden. Natürlich wird es heute das große Menü mit 6 Gängen (€ 189,--).
Wir starten mit einem Glas Winzersekt vom bekannten Pfälzer Weingut Odinstal beinahe klischeehaft mit Kaviar, Crème Fraîche und Blinis. Aber das ist uns egal. Der Osietra Kaviar aus dem Haus Kaviari Paris (bis dato uns unbekannt) gefällt uns ausgesprochen gut und wird von perfekten Blinis und einer fabelhaften, aufgeschlagenen Crème fraîche begleitet. Simple Dekadenz vom Feinsten.
Eine hübsche, monochrom grüne Trilogie an frischen Snacks auf Eis folgt als erster Küchengruß. Neben einem Granny Smith Apfel, welcher mit einem erfrischenden Apfel-Kombucha-Zitronenverbene Cocktail gefüllt ist und über einen gläsernen Strohhalm getrunken wird, befindet sich eine Stange grüner Spargel mit Trüffelfüllung und Eigelbcreme. Sehr lecker.
Der eigentliche Star des Ensembles ist aber eine fragile Konstruktion aus Sauerampfer, Dill, Kerbel, Estragon, eine Scheibe Radieschen und einer frittierten Kaper on top. Das ist frisch, grün, leicht ätherisch und enorm elegant und zeigt, wie herrlich unverkopft große Küche gehen kann. "Urbannature" at its best.
Bämm! Da ist er schon, der nächste Kracher. Auch wenn die titulierte Zutatenkombination "Saibling - Buttermilch - Meerrettich" eher altbewährtes befürchten lässt, so liefert die Küche hier eine sensationell mondäne Version dieser klassischen Kombination ab.
Paul drapiert eine wunderschöne, saftig konfierte Tranche Saibling in einen Buttermilchmolke-Liebstöckelsud mit reichlich Saiblingskaviar und dekoriert das Ganze mit einem feinsäuerlichen Rettich-Salat, einem Korallenchip und geeisten Meerrettich-Perlen. Das ist so gut, dass wir uns wirklich nur ungläubig anschauen. Das balancierte Säurespiel und die Unterfütterung mit Buttermilch und aromatisch Liebstöckel lässt sich fast schon als virtuos beschreiben. Die zart zerplatzenden Kaviarperlen unterstreichen die Geschmackswelt und bereichern die Textur auf famose Weise. Der geeiste Meerrettich ist ein kleiner Muntermacher für die Papillen, der einem unmissverständlich klar macht: Mehr davon!
Das Menü startet mit "Zander - Kombu - Tomate". Der wunderschön zur Rose ausgeformte, dünn geschnittene, mit Kombualgen marinierte Süßwasserfisch wird ins Zentrum des Geschehens gerückt und von einer hellen Tomaten-Zwiebel-Vinaigrette umgeben. Etwas fermentierter Kohlrabi und Rettich - wie eine Art Kimchi - und Kombualgen-Streifen vervollständigen das Küchenkunstwerk.
Wieder fällt die gelungene Balance aus Fruchtsüße und Fermentationssäure direkt auf. Und tatsächlich sind es hier ebenso kleine Nuancen, die dem Gang extreme Eleganz verleihen. So verbergen sich vereinzelte, millimeterkleine Ingwerwürfel zwischen den Zandertranchen, welche mit ihrer geschickten Proportionierung und Größe wunderbar zurückhaltend, jedoch präsent fruchtig-scharf hervorstechen und keiner anderen Zutat auf die Füße treten.
Einen milden Fisch wie Zander so zu kombinieren, zeigt das Selbstbewusstsein der Küche - das Ergebnis attestiert enormes aromatisches Feingefühl und Küchenhandwerk auf obersten Niveau. Die feine Kombu-Alge unterstreicht zudem mit Ihrer Jodigkeit den feinen Fischgeschmack. Absolut beeindruckend!
Es bleibt puristisch nordisch mit einem Hauch Asien. Für den nächsten, vegetarischen Gang hat die Küche Pfälzer Spargel fermentiert, anschließend mit Mirin glasiert und angebraten. Aromatisch eingefasst wird der Spargel von einer Soße auf Basis von hausgemachtem Sonnenblumen-Miso (!) und fermentiertem Spargelsaft.
Paul krönt das Gericht noch mit geschmorten Chicorée-Blättern, gerösteten Sonnenblumenkernen und etwas Fenchelgrün. Der geschickte Umgang mit Koji-Schimmelsporen und milchsauren Fermentationstechniken mit regionalen Zutaten zeigen schön, wie weit man hier über den Tellerrand schaut und wie das Handwerkspektrum ausgeschöpft wird. Beinahe schon unnötig zu erwähnen, dass auch hier die geradlinige, säurebetonte Aromatik mit der feinen Nussigkeit der Sonnenblume und den Bitternoten des Chicorées wieder ins Schwarze trifft. Sicher eines der besten Spargelgerichte, das wir jemals hatten.
Der Duktus des nächsten Gerichts verfolgt eher eine klassischere Linie und fokussiert eine offenkundig perfekt glasig gegarten Tranche Seeteufel, welche mit einer üppigen Nocke Osietra Kaviar nappiert wurde, und auf ein Podest aus Erbsenpüree und sautierten Erbsen gesetzt wurde. Den flüssigen Part übernimmt eine Beurre Blanc, welche mit Estragon aromatisiert wurde und verortet das Gericht eindeutig nach Frankreich. Das ist lecker, süffig und mit klarer Tellerhierarchie umgesetzt. Sensationell!
Und wenn man meint, die Anatomie von Dominik Pauls' Gerichten und deren Purismus durchschaut zu haben, holt er zu einer Hommage an seine Lehrzeit aus, welche bekanntlich in einem gutbürgerlichen Restaurant stattfand.
Hierzu verleiht er seinem Hauptgang ein wirklich klassisches Geschmacksbild, drapiert drei Scheiben rosa gebratenen Lammrücken ins Zentrum und umzingelt diese mit (sensationellen) Pommes Dauphines, Saubohnen, sautierten Pilzen (Morcheln, Krause Glucke, Shiitake und Buchenpilze) und etwas Pilzschaum. Dem angegossenen, klassischen Lamm-Jus gibt er feine Würfel vom Lamm-Bries hinzu.
Von stereotypischem Wirtshaus- Charme oder Gutbürgerlichkeit ist trotz allem nichts zu spüren. Die Küche hält das Niveau der einzelnen Komponenten für solcherlei Assoziationen schlichtweg zu hoch. Das ist meisterhaftes, klassisch französisches Handwerk und eine Form der Unberechenbarkeit, welcher wir uns an dieser Stelle nur zu gerne hingeben. Unbeirrbar hervorragend!
Vorhang auf für einen weiteren Fels im Küchenteam, Patissier Raffaele Stea. Der gebürtige Kanadier hatte uns mit seinen, eher klassischen Kreationen schon in Vergangenheit kulinarische Glücksmomente bereitet. Jedoch war immer ein gewisser stilistischer Bruch zu den eher asiatischen und kreativen Kreationen von Tristan Brandt spürbar. Umso harmonischer klinkt sich das pre-Dessert mit der bekannten Aromenwelt aus (in Holunderessig) marinierten Erdbeeren, Holundergranité und ätherischen Fichtensprossen, welche in eine Creme aus Crème fraîche mit laktofermentiertem Honig eingebunden sind, in die heutige Menüfolge ein. Das ist wunderbar frisch und schön umgesetzt.
Ebenso saisonal und noch besser geht es weiter. Nämlich mit der erneut für sich harmonischen Kombination aus Rhabarber, Sauerampfer und weißer Schokolade. Hier thront ein wunderbar frisches Sauerampfer-Sorbet auf einem Crumble und einem Mousse von weißer Schokolade, pochiertem Rhabarber, welcher mit fermentiertem Honig und Vanille aromatisiert wurde und mit Rhabarber-Pulver versetzten Bierteig. Um der Kreation einen mondänen Twist zu verleihen, umgibt Stea das "Törtchen" mit einem Rhabarber-Dashi, welcher mit Kombu-Alge und Sauerampfer-Öl versetzt wurde. Letztendlich ist die Kreation einfach nur tierisch lecker und handwerklich brillant umgesetzt - ohne komplizierte Umwege über verschiedene Texturen und Metaebenen. Warum sollte ein Dessert für die Seele auch kompliziert sein? Genial!
Auch die vorzüglichen Petits Fours werden restlos verputzt. Es ist schön zu sehen, welche Entwicklungen hier nach dem Weggang Tristan Brandts stattgefunden haben. Dominik Paul ist mit Anfang 30 sicher noch nicht am Zenith seines Schaffens angekommen und wird noch viel von sich hören lassen. Schon jetzt ist seine Küche definitiv einen Umweg wert und bemerkenswert eigenständig.
Auch der Service um Adrian Darsig, Erzsébet Czakó und Sommelier Joe Wessels spielte heute Mittag wunderbar auf, lieferte charmant professionell und mit dem ein oder anderen kurzweiligen Plausch ab. Natürlich muss hier auch ein Shoutout auf Tristan Brandt erfolgen, welcher sicherlich maßgeblich zur fabelhaften Entwicklung der Küche und Dominik Paul beigetragen hat. Die nächste Generation sitzt jedenfalls fest im Sattel und hat sich bereits beeindruckend freigeschwommen. Großes Kompliment und bis sicherlich bald mal wieder.
Alkoholische Getränkebegleitung
Große Namen aus der ganzen Welt. Jo Wessels lieferte wie immer eine tolle Weinauswahl zu den Gerichten ab. Auch ein Cocktail und ein Trinkessig (ohne Bild) waren mit von der Partie.
Das Team
Dominik Paul (4. von rechts), Raffaele Stea (1. von rechts) mit Team
Fazit
Elegant, nachhaltig und sensationell auf den Punkt! Dominik Paul führt die Küche mit neuem Kompass und mindestens genauso spannend und raffiniert weiter. Die hervorragenden Wohlfühldesserts von Raphaele Stea erzeugen eine perfekte Synergie.
OPUS V
05, 9-12
68161 Mannheim
(06 21)1 67 11 55
Text, Fotos © les-etoiles.de