Im Oben bei Robert Rädel in Heidelberg
Im Oben bei Robert Rädel in Heidelberg
Kulinarischer Genuss in einer Wohlfühloase.
Über ein halbes Jahr muss man warten, um im mit einem Stern dekorierten Restaurant Oben in Heidelberg einen Tisch zu ergattern. Um es gleich vorwegzunehmen: Es würde sich auch noch eine längere Wartezeit lohnen!
Abgeschieden auf dem Königstuhl in einem idyllischen Gasthaus mit Tradition, dem Kohlhof, untergebracht, gerät man schon vor dem ersten Gang in eine Wohlfühlbubble sondergleichen. Die untergehende Sonne beleuchtet die rustikalen Holzbänke im Garten des Restaurants, nebenan grasen Schafe, die Hauskatze schaut aus sicherer Entfernung, was die Gäste vorhaben. Und die haben einiges vor! 13 verschiedene Gerichte enthält das festgelegte Menü von Robert Rädel und seiner Souschefin Mona Schmidt. Eine Wahlmöglichkeit gibt es nicht, so kann Rädel besser planen, es muss weniger weggeworfen werden und dadurch profitiert am Ende auch der Gast durch einen fairen Preis.
Dieser nachhaltige Ansatz ist dem 39-jährigen wichtig. Dazu gehört auch, dass er auf „prime goods“ wie Trüffel, Kaviar und Co. verzichtet. In der Anfangszeit des Restaurants landete als Zugeständnis an die Gäste noch der ein oder andere Steinbutt auf dem Teller, heute nur noch Süßwasserfische von kleinen Fischern aus der Region. „Brutal regional“ wie etwa das Berliner Nobelhart & Schmutzig ist das Oben allerdings nicht und das ist angenehm. Rädel erklärt, woher seine Ingredienzen kommen, aber er belehrt nicht. Dennoch ist die Orientierung an der Nova-Regio-Küche á la Matthias Schmidt (früher Villa Merton) oder Renée Redzepi (Noma) deutlich sichtbar. Sichtbar auch anhand der zahlreichen Weckgläser mit fermentierten oder eingelegten Naturgütern aus der Umgebung, die das Lokal schmücken. Dort sind Douglasienzapfen, eingelegte Fette Henne oder Flechten aus dem angrenzenden Wald zu bestaunen. Das Kühlhaus gleicht ebenfalls einer frühneuzeitlichen Wunderkammer.
Rädels Gerichte sind auf das Wesentliche reduziert und diesen Weg will er weitergehen. Die Aromen sind klar herausgearbeitet und – was unbedingt einer Erwähnung wert ist – er traut sich an Säure und Schärfe bis an die Grenze heran. Dazu aber später mehr.
Besondere Anerkennung verdient auch Anna Kaufmann, die als einzige Servicekraft einen hervorragenden Job macht. Sie schafft es in außergewöhnlicher Weise, dass man sich bald nicht mehr wie in einem Restaurant, sondern zu Gast bei Freunden fühlt. Die begleitenden Weine sind passend gewählt und ausdrucksstark, grandios ist auch die alkoholfreie Getränkebegleitung, die nicht nur aus dem hervorragenden aber mittlerweile ubiquitär geworden Prisecco besteht.
Die ersten drei Gerichte werden als Ensemble von Robert Rädel selbst serviert. Wir beginnen mit einem eingekochten Karottensaft, der mit Schwarzwaldmiso (Lupine), Kamille und etwas Butter angereichert wurde. Warm. Mächtig. Wohlfühlessen.
Es geht weiter mit über Holzkohle schwarz gegrilltem Spargel, der mit Holunderblütenöl, Holunderknospen und frischem Holunder serviert wird. Die starken Grillnoten und die zarten floralen Noten ergänzen sich wunderbar. Der Holzkohlegrill wird übrigens an diesem Abend noch einige weitere Male zu Einsatz kommen.
Beim dritten Snack drapiert sich ein Rheinhechttatar (von einem Karlsruher Fischer) auf eingelegtem Staudensellerie unter einer Decke aus Zitrusmayonnaise. Crunch gibt gerösteter Buchweizen.
Beindruckend ist die Bandbreite der Snacks von kalt-erfrischend bis warm-gemütlich - und das ohne Amuse-Klischees wie Macarons oder gefüllte Hörnchen. So kann es weiter gehen!
9/10
In Anlehnung an den Klassiker von Renée Redzepi „Die Henne und das Ei“ dürfen wir im Anschluss ein Rührei in einem heißen gusseisernen Topf selbst zubereiten. Dazu geben wir nacheinander Gewürzbutter, Ei und Kerbel in den Topf und verspeisen das Ganze mit geröstetem Sauerteigbrot. Eine tolle Idee! Während wir essen geht die Sonne langsam unter, die Katze kommt erneut für einen Besuch vorbei. Ein traumhafter Ort.
8/10
Der nächste Gang aus Himbeeren, Tomaten, Tapiokacracker mit Sepia, Tomateneis, Kapuzinerfrucht, Kapuzinerkresse und Basilikum ist gut gemacht. Der Reiz der etwas schleimigen Kapuzinerfrüchte erschließt sich mir allerdings nicht ganz. Die natürliche Säure von Himbeeren und Tomaten wird leider durch das Essiggel etwas überdeckt. Ein solider Gang.
7/10
Der Holzkohlegrill kommt wieder zum Einsatz: Diesmal grillt Robert Rädel eine Bachforelle auf Zedernholz, wodurch diese gleichzeitig gegart und etwas geräuchert wird. Dazu gibt es eine hinreißend angerichtete Gurkenkaltschale mit Gurkenblüte, Zitrone, Gurkeneiskugeln und Fenchelpollen. Der Kontrast zwischen dem warmen, fetten, rauchigem Fisch und der erfrischenden Kaltschale ist perfekt. Ein ideales Beispiel dafür, dass Essen einen emotional bewegen kann. Ein Gericht, an dem man schwerlich etwas verbessern kann. Chapeau!
10/10
Auch der nächste Gang ist ein emotionales Wohlfühlgericht. Zu den Artischockenböden gesellen sich eingelegte Kirschen, Leinsamencracker und eingelegte Lindenblütenknospen. Aufgegossen mit einem köstlichen Sud aus den Artischockenabschnitten. Während sich das Aroma der Lindenknospen hervorragend einpasst, ist die Konsistenz auch hier nicht ganz meins. Schade ist, dass Robert Rädel bei diesem Gericht während der Hochsaison auf den Einsatz frischer Kirschen verzichtet. Deren knackige Frische und Säure würden ein optimales Gegengewicht zur Cremigkeit der Artischocken abgeben. Aber das ist Jammern auf sehr, sehr hohem Niveau.
9/10
Für den nächsten Gang dürfen wir auf einer rustikalen Holzbank mit Blick auf den Herd Platz nehmen. Es wird das Signature Dish serviert, das das ganze Jahr über auf der Karte steht. Der Schweinewedel (Schwanz) wird dazu Sous-Vide gegart, ausgelöst und unglaublich knusprig gebraten. Dazu gesellen sich Boskop-Apfel, Senfkörner und Schnittlauchöl. Frischer Kren wird am Tisch darübergerieben. Das kollagen- und fettreiche Fleisch wird durch die durchaus mutige Schärfe von Schnittlauch, Senf und Kren und die fruchtige Säure des Apfels sehr gut ausgeglichen. Ein Gang, der Spaß macht und alles andere als langweilig ist. Mehr davon!
Im Anschluss erhalten wir eine kleine Einführung in die zahlreichen Fermentations- und Einlegeexperimente. Hier ist jemand ernsthaft begeistert, von dem was er tut und das ist ansteckend und nicht anstrengend wie in so manchem einschlägigen Berliner Restaurant.
8,5/10
Es folgt Stör mit Eierfrucht (Aubergine) und Paprikasud sowie einem Ragout aus rohem grünem Paprika, der mit etwas Limette abgeschmeckt wurde. Ein cremiger Gang, der durch Knusperperlen etwas aufgelockert wird.
7,5/10
Für den Hauptgang kommt erneut der Holzkohlegrill zum Einsatz: Was beim Ribeye gut funktioniert, führt beim Salatherz leider zu einem üblen Sonnenbrand 3. Grades. Da kann auch die sofort aufgetragene Fichtenemulsion wenig Erleichterung bringen. Fichtensprossen und Fichtenpulver ergänzen das Fichtenaromatrio, das leider durch den verbrannten Salat etwas untergeht. Zudem wird die Grundbitterkeit von Salat und Fichte durch das Grillen leicht überbetont. Außerdem auf dem Teller: Eine kleine Anabelle-Kartoffel mit Creme Fraiche gefüllt und mit Kartoffelstroh bestreut, Lauch-Kartoffelpüree und eine sehr gute Jus. Während die anderen Gänge die individuelle und großartige Handschrift des Küchenchefs zeigten, steht dieser Gang noch mit einem Bein in der klassischen Küche. Solide, aber nach dem bisher Erlebten hätte man sich mehr Robert Rädel gewünscht!
7/10
Das Pre-Dessert aus marinierten Erdbeeren, gefrorener Dickmilch, Erdbeersorbet, Crème Pâtissière und Löwenzahnhonig ist schön erfrischend. Den Löwenzahnhonig würden allerdings bei einer Blindverkostung vermutlich nur sehr geübte Gaumen herausschmecken.
7/10
Beim Hauptdessert zeigt sich die Handschrift des Oben wieder deutlicher. Auf kleinen, in knusprigem Zucker gewälzten – und daher sehr süßen - Arme Rittern thronen Rhabarbergel und Stangen von rohem Rhabarber, die mit der vollen Ladung punkiger Oxalsäure zuschlagen. Über diesen spannenden, aber auch herausfordernde Kontrast legt sich wie eine samtige Decke die Rieslingzabaione, die das dritte R des als 3R bezeichneten Desserts beiträgt. Aufregend ist auch der Temperaturkontrast zwischen dem Rhabarbersorbet und der warmen Zabaione. Um es mit 3 R zu beschreiben: Reduziert, revolutionär, rundum gelungen!
8,5 /10
Das Team
(von links) Anna Kaufmann - Robert Rädel – Mona Schmidt
Restaurant OBEN
Am Kohlhof 5
D-69117 Heidelberg
Phone: +491729171744
Text: Tobias Henrichs , Instagram: @tobias__henrichs
Fotos (c): 1., 2. und letztes von oben: Restaurant Oben / alle weiteren: Tobias Henrichs