Im Bonvivant - Berlin
Im Bonvivant - Berlin
Mehr Genuss mit gutem Gewissen.
März 2021: Das Restaurant Bonvivant und sein Küchenkonzept wird in der Pilotfolge der "Neue Berliner Schnauze" vorgestellt.
Ein Video in Netflix-Qualität! Unbedingt ansehen.
Das Gute am Bonvivant? Man muss am Wochenende nur drei cocktaillose Stunden zwischen Brunch und Dinner überbrücken. Das Cocktailbistro (die Bezeichnung ist genau so tief gestapelt wie die Preise) von The Anh Nguyen und Jules Winnfield hat als ernährungspolitisches Fundament ein rein vegetarisch-veganes Konzept und bleibt damit noch immer irritierend einsam für eine Großstadt, in der mehr Hundekottüten als Menschen über die Straßen flattern.
Wer sich jetzt gähnend Grünkernbratlinge und Rote-Beete-Saft vorstellt, unterschätzt wie Gemüsekomplize und zertifizierter Bio-Koch Ottmar Pohl-Hoffbauer seine Chlorophyll-Bömbchen inszeniert. Die Teller des Slow-Food-Experten werden von den Kreationen von World-Class-Bartenderin Yvonne Rahm begleitet, die jedwede dröge Bioladenvorstellung im Begrüßungsaperitif ertrinken lässt.
Den gibt es an diesem heißen Sommerabend als alkoholfreie Americano-Variante. Das hätte Yvonne nicht gewollt! Sie würde wohl für seriöses Retoxing plädieren angesichts meiner frühabendlichen Verzichtskultur. Göttin sei Dank hat die Vorzeige-Drink-Bastlerin ihre Weltklasse-Rezepte für den Nachfolger hinter der Theke liegen lassen, als sie jüngst nach Lissabon auswanderte. Aus Ehr- und Verpflichtungsgefühl wird sich später also auch eine aufgesprittete Grapefruitsalz-Tonic-Variante zu mir gesellen. Den Gästen wird im Übrigen zugetraut, schon ganz alleine trinken zu können: sympathische Beratung – ja! Betreutes Trinken – Nein!
Wir starten mit den Sauerteigschnitten von Brot ist Gold, die banachbarte Bio-Bäckerei, die wie das Bonvivant auf die Zusammenarbeit mit lokalen Produzent*innen setzt. Hummus mit Basilikumsalz und eine zart schmelzende Lauch - Café de Paris – Butter bewirken, dass wir unter dem verständnislosen Blick einer frechen Fliege schon vor der Vorspeise loshmmm-en.
So geht’s auch direkt weiter, als der geräucherte Büffelburrata mit Rauchsalz, frischen und getrockneten Tomaten sowie Szechuan-Pfeffer an den Tisch kommt. Lauchemulsion und Korianderöl sorgen für die Kirsche auf der Käse-Torte und hinterlassen aufgeklappte Kiefer.
Zur Erinnerung: Ausgangslage waren 30 Grad und Hunger. Deswegen gab es ein erfrischendes Wildkirsch-Gazpacho mit schwarzem Knoblauch vorneweg und die Mairübe haben wir auch noch dazu bestellt. Sie und viele alte Gemüsesorten wurden in der Vergangenheit aufgrund attestierter Ödnis aus der Tellerlinguistik herausgeschrieben, kommen aber zu Recht aufpoliert und zeitgemäß interpretiert zurück an die Restauranttische. Die herbe Kohligkeit der Vorspeisen-Protagonistin wird von Shitakepilzen, Klatschmohnblüten und einer eindrucksvollen Koriandermayo ergänzt und auch der geröstete schwarze Sesam fügt sich ohne Trendhascherei harmonisch ins Geschmacksbild.
Einigkeit am Tisch: Das Grünzeug ist in bester Verfassung und trotzt der Biolüge aus dem Supermarkt. „Auch wenn Bio drauf steht“ meint Geschäftsführer The Anh „handelt es sich häufig um schnell wachsende Hybride - so kann sich kein Geschmack entwickeln“. Den gibt es jedenfalls beim Hauptgang:
Während Möhren ja häufig genau so böse angeguckt werden, wie die Maske-unter-der-Nase-Träger*innen in der U-Bahn, beeindruckt die Deep-Purple-Karotte nachhaltig. Für viele war die Urkarotte ein Gemüse ohne Vorteile und somit ebenfalls in Ungnade gefallen, hat sich für diesen Gang aber aus den kulinarischen Niederungen wieder emporgeschwungen. Sie lässt sich vom Süßkartoffelpüree, Quittengelee und Ziegenjogurt fröhlich hofieren. Der gepoppte Quinoa sorgt für den Knusper und die Aprikosen-Karotten-Emulsion verbindet alles zu einem runden Teller. Und das funktioniert rundweg lokal, so The Anh: „Die Küche hat mittlerweile ein Jahr saisonal durchgekocht und es funktioniert! Man muss kein Gemüse aus Asien importieren, wenn man im Winter mit Wurzeln arbeitet.“
Die Mitesserinnen sind in ihrem estragoninfusionierten Blumenkohl vertieft, der in leaf-to-root-Manier seine Blätter als knusprigen Chip auf sich turnen hat, mit Béarnaise serviert und mit Nusscrumble und Salzbrezel aufgetuned ist. Die Gespräche sind eingestellt; alle mümmeln andächtig. Warum tun sich viele Restaurants – gerade in Großstädten - so schwer mit der Umstellung auf rein vegetarische Küche? frage ich mich und The Anh. Die Strukturen würden fehlen, um vegetarische Küche nach vorn zu bringen. „Unser Azubi lernt bei Ottmar auf raffinierte Weise vegetarisch zu kochen, aber legt seine IHK-Prüfung mit Fleisch ab. Das ist ein sehr veraltetes System, das wenig Innovation zulässt.“
Der Blick fällt auf die Kirche am Winterfeldplatz, denn aufgrund der 30 Grad sitzt man dieser Tage gut belüftet und denkmalgeschützt bekachelt vor dem Schöneberger Eckpalast, vor dem sich Goltzstraße und Pallasstraße aufreizend knutschen. Mittlerweile ist der Abend kühler und die Gespräche wärmer geworden. So ein lustvoller Abend, an dem Zeit, Geheimnisse und Essen geteilt werden, ist durchaus gemeinschaftsstiftend, aber irgendwann ist auch mal Schluss mit der Sharing-Romantik. Und zwar, wenn es ans Dessert geht.
„Wir bestellen drei Portionen, drei!“ poltert es feldwebelesk aus mir heraus. Bedächtiges Nicken und synchron klackende Hacken auf der anderen Tischseite. Untertänigkeit verwandelt sich in dankbare Zustimmung, als uns die Nachspeise erreicht. Das Holunderblütensorbet mit Süßdolde und die scheppernd roten Erdbeeren vom Demeterhof Weggun genießt jede ganz individuell für sich. Die moralisch korrekte Luxusaskese lässt uns und unser Nachhaltigkeitsgewissen selbstzufrieden in die hölzernen Gartenstühle sinken, die sich auch nach 5-stündiger Besetzung als überraschend bequem herausstellen.
Im Bonvivant ist Vegetarismus kein Selbstbezichtigungsritual. Im Gegenteil: die minimalistische Tellersprache wurde hedonistisch durchgemustert und sorgt dafür, dass alles übrig bleibende nur noch Joy sparkt. Nach diesem Abend habe ich noch genau zwei Ziele im Leben: mehr Gemüse essen und mehr trinken.
Bonvivant Cocktail Bistro
Goltzstraße 32, 10781 Berlin
Tel: 0176 61722602
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Fotos, Text © Michaela Bauer