Hokus Fokus im Loumi Dining - Berlin
Hokus Fokus im Loumi Dining - Berlin
Die Kunsthistorikerin & der Informatikkaufmann
„Ich bin ein kleiner Frechdachs!“ grinst mir Mical Rosenblat spitzbübisch entgegen, als ich sie frage, wer sie sei. Es braucht wohl diese gewisse an Kleinkriminalität grenzende Kühnheit, um sich autodidaktisch und dabei aufatmend allürenfrei vom Supper Club zum Sternerestaurant zu köcheln. Der kürzlich hereingepolterte Michelin-Stern bestätigt nicht nur, dass es sich bei Mical und ihrem Geschäftspartner Karl-Louis Kömmler nicht um halbseidige Garagen-Brutzler handelt, die ihre vermeintliche Produktfokussiertheit selbstgefällig in Form eines rohen Brokkoli für 70Euro im Blender-Hipster-Büdchen auf die Keramik patschen, sondern dass hier mit beachtlichem Seiteneinstiegs-Know-How vor allem vor Omi geflext werden will. So möchte Kunsthistorikerin Mical eigentlich nur ihre 98-jährige Großmutter damit beeindrucken, dass sie „hart arbeiten und was richtig durchziehen kann“, während sich Informatikkaufmann „Kalle“ – wie sie ihren Küchenchef und Freund nennt – vorrangig in adrette Frisuren und akribisch durchkomponierte Teller hineinzunerden scheint. Beides passiert ebenso inszenierungsfrei wie Micals non-chalante Gastgeberinnen-Positur, die sich wie ein unüberzeugend vertuschter Freundschaftsdienst gebart: Kumpelig im Anflug, versiert und aufrichtig im Inhalt.
Die Ritterstraße 2
In der Kreuzberger Ritterstraße haben sich die beiden Quereinsteiger*innen ihr minimalistisches Refugium eingerichtet; in einem Gebäude, das sich erst vor 10 Jahren mit Sichtbeton-Selbstgefälligkeit zwischen die frühergrauten 70er-Jahren-Bauten mogelte.
Wenn sie sich durch die müllbebergten und volltrunkenen Alltäglichkeiten am unweiten Kotti manövrieren (Nein! In der herumfliegenden Alu-Folie befand sich kein weggeworfenes Leberwurstbrot von Liam, der die 4. Klasse der benachbarten Grundschule besucht, wirklich nicht!), werden Straßenglaubwürdigkeit vermissende Urbanmenschen gezwungen neben Feinstaub auch etwas Kreuzberger Roughness einzuatmen, bevor sie sich von Mical behutsam in eine Champagner-Bubble versenken lassen können.
Ich darf am sexy Edelstahltresen Platz nehmen und in die offene Küche staunen, während ich mir aus aufdringlich schönen Gläsern meinen alkoholfreien Yuzu-Aperitif ins Gesicht gluckere. Die Trunk-Gefäße werden individuell verbeult vom nachbarschaftlich ansässigen Designer-Duo Teuber Kohlhoff hergestellt und fügen sich folgerichtig in die cleane Ästhetik des kleinen Lokals ein.
Sommer im Loumi
Das 8-gängige Sommer-Menü startet mit der leicht blanchierten Königskrabbe aus Norwegen auf einer Hot Sauce aus Erdbeere. Ich genieße gerade den zarten Crunch des Teignäpfchens und die Salzigkeit des Ponzu-marinierten Lachskaviar, der diesen Opener toppt, als mich die Eilmeldung von rechts erreicht: „Also so bekommen Sie das auch in Japan!“ raunt mir mein Sitznachbar demütig ins Ohr. Der weltgewandte Foodie war kürzlich in Japan und bestätigt mir, dass er in Berlin kaum eine vergleichbare Aromenpräzision wie hier im Loumi bekommen würde.
Gleiches gilt für den blauen Hummer aus der Bretagne, der mit Thunfisch-XO-Soße und Piment d’Espelette-Beurre-Blanc auf japanischem Eierstich gebettet angereicht wird und symbolträchtig die Kombination französischer Klassik mit japanischen Elementen als brückenschlägige Handschrift des Loumi repräsentiert.
Wie man derartige Kulinarik-Turbo-Schnuckel baut? Viel lesen, viel essen gehen und diverse Praktika in Sternerestaurants absolvieren und das Ganze in einer beträchtlichen Enthusiasmus-Brühe beherzt einkochen lassen.
Dabei kommen dann Gerichte heraus wie die an der Karkasse gegrillte Wachtel nebst confierter Keule, die so zart ist, dass sie beim Anschneiden zu seufzen scheint. Dazu ein paar Sauböhnchen und in Sake eingekochter japanischer Senf zur süffigen Wachtel-Jus. Den buttrig-süßen Kontrapunkt setzt ein grotesk perfektes Blätterteig-Brioche; ein überlebensgroßer Gang, der den Highscore an Umamiprogression dieses Menüs verkörpert.
Die beinahe herbstlich umarmende Herzhaftigkeit der meisten Gänge wird immer wieder von Schärfeschattierungen unterschiedlicher Herkunft aus ihrer Gemütlichkeit geschubst und von Säure-Elementen aufgefrischt. Die Varianz an Zitrusfrüchten in den Gängen und die herausragende Qualität der Produkte lässt souverän ausgetretene Logistikpfade unterstellen. An Weltläufigkeit fehlt es nicht, welterklärend inszeniert sich hier niemand.
Impressionen aus dem Menü:
Auf bald!
Zu guter Letzt mein Automatik-Spreizfinger am Dessertlöffel als eine skrupellose Nocke Kaviar auf dem braune-Butter-Eis geparkt wird. Diese Nachspeise prügelt den Abend mit breiter Brust Richtung Full-Circle-Moment und lässt mich erschöpft und zufrieden wie ein etwas benommener Movie-Cowboy zurück zum Kotti reiten. Der Müll und die Crack-Alufolien werden von knarzigen Windgeräuschen wie Steppenläufer über die Kreuzberger Nebenstraßen geweht.
Fotos, Text © Michaela Bauer
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.