Hochgefühl „unter Tage“

Hochgefühl „unter Tage“

Wer an nasskalten Winterabenden an der Kokerei Hansa in Dortmund ankommt, erlebt einen dunklen, verlassenen Ort, der ein bisschen an alte David Lynch-Filme und Fotos erinnert.
Das SchwarzGold in der ehemaligen Gastiefkühlanlage des Industriedenkmals in Dortmund-Huckarde ist auf dem Areal von weitem nur durch seine bunt beleuchteten, riesigen Fenster erkennbar. Und die Gegend scheint auf den ersten Blick wenig einladend.
Auch das Golf-Cart, das Gäste üblicherweise vom Parkplatz abholen soll, schafft die tiefen Temperaturen in dieser Jahreszeit nicht. Dafür können Besucher in den kalten Monaten direkt mit dem Auto bis ans Restaurant heranfahren und dort eine warmherzige Atmosphäre mit außergewöhnlich kreativen Speisen plus „witzigen Extras“ genießen.

Denn im Inneren eröffnet sich den Gästen gleich ein ganz anderes Bild. In der riesigen bunt beleuchten Industriehalle wird man an der Türe freundlich begrüßt. Und dann geht es durch das Partner-Restaurant Butterraum an alten, schweren Maschinen vorbei die Treppe herunter in ein großes Food-Vergnügen.

... unten angekommen wirkt der Restaurant-Bereich in schwarz-gold auf den ersten Blick dagegen ein bisschen dunkel.
Auf den zweiten Blick ist es aber ein extrem stylischer und perfekt inszenierter Ort.

Hier kann man in einer gemütlichen und privaten Umgebung für ein paar Stunden ins große Food-Vergnügen abtauchen.
Vom ersten Augenblick an fühle ich mich hier sehr wohl.
Die Location erinnert mich nämlich auch an eine meiner holländischen Lieblingsstädte. In Eindhoven hat man es schon vor Jahren perfektioniert alte Industriebaracken in stylische Restaurants umzuwandeln. Und hier im GoldSchwarz ist es nun mindestens genauso gut gelungen.
Food-Amusement-Park mit Hommage ans Ruhrgebiet und seine internationale Vielfalt
Offene, rustikale Wände beeindrucken mit hohen Decken im Kontrast zum edel und clean wirkenden schwarz-goldenen Gästebereich. Dazu ein einzigartiges Lichtsystem, das im Restaurant für eine, private und ruhige Atmosphäre sorgt. Bis Chefkoch Beckerling und sein Team mit ihren kulinarischen Scherzen um die Ecke kommen.
Die schwarz-goldene Optik und der Name sollen an das schwarze Grubengold erinnern, dass die Region lange Zeit geprägt hat – und sind so auch eine Hommage an das gesamte Ruhrgebiet und die Kumpel unter Tage.
Das gilt genauso für die Speisen, die auf traditioneller Ruhrgebietsküche basieren. Ergänzt und bereichert werden sie zusätzlich mit Einflüssen der sogenannten Gastarbeiter, die längst zu Einheimischen geworden sind.
Diese internationale Vielfalt (u.a. aus der Türkei, Italien oder Polen) ist für Küchenchef Pierre Beckerling eine Herzensangelegenheit. Und für mich übrigens auch.
Erstaunlich gut ist auch das Interior-Design gelungen. Während Gold oft nah am Kitsch ist, wirkt es in der Kombination mit schwarz sogar stylisch und modern. Sogar die Tischoberfläche ist aus gold gefärbtem Leder und fühlt sich warm und weich an. Und sorgt so zusätzlich für gemütliche Wohlfühlatmosphäre.
Dazu ist die freundliche Art des Chefkochs Pierre Beckerling, der mich persönlich an der offenen Küche begrüßt, so vereinnahmend, dass es hier eigentlich nur gut werden kann.
Während es in manchen Restaurants immer noch sehr steif und distanziert zugeht, entpuppt sich Beckerling bei einer kurzen Plauderei schnell als charmanter Eisbrecher während er die Philosophie des Restaurants erläutert und dabei viel und gerne lacht.
Bei seiner Küche legt er besonderen Wert auf lokale Einflüsse und internationale Vielfalt „Straight outta Ruhrpott“.
Der Ruhrott und seine Kultur landen im SchwarzGold sprichwörtlich im Kochpott.
Beckerling möchte in seinen Gerichten die Vielseitigkeit und Diversität der Gegend widerspiegeln:
„Wir Hamm et im Pott immer so gemacht mit vielen Kulturen und Menschen aus unterschiedlichen Nationen zusammenzuleben und gegenseitig voneinander zu profitieren.“
Und so vereint er Ruhrgebietsküche u.a. mit Polnischen, Türkischen und Italienischen Einflüssen.
Es sind aber nicht nur die internationalen Einflüsse, die diesen Ort so besonders machen.
Beckerling bringt auch andere Ruhrgebietsklassiker auf den Teller, die normalerweise so gar nicht mit einem Fine-Dining-Restaurant in Verbindung gebracht werden würden.
Erst dreht der Kirmes-Blumenkohl eine Runde auf dem Teller und zu guter Letzt macht der Candy-Shop mit jeder Menge Kindheitserinnerungen beladen einen Stopp am Tisch.
Dazwischen erwarten die Gäste jede Menge andere verrückte Ideen, die zum genussvollen Schmunzeln einladen.

Klassiker „Straight outta Ruhrpott“
Kurz nachdem ich Platz genommen habe, geht es auch schon los mit den ersten drei Snacks „Straight outta Ruhrpott“.

Die Dortmunder Currywurst kommt als Zweikammern-Lolly (aufgepickt auf der Pommesgabel) und ist eine wunderbare vegetarische Interpretation des Ruhrgebiet-Klassikers.
Aus der oberen Kammer verbindet sich der typische Curry-Wurst-Geschmack mit der unteren Kammer beim Draufbeißen mit einer Pilzcreme. Ist das gut! So kann es gerne weitergehen.

Es folgt ein Reibekuchen mit Lachsforelle und saurem Spargel.
Der Reibekuchen ist natürlich nicht so ein vor Fett triefendes Ungetüm, wie man es von Kirmes-Ständen oder Weihnachtsmärkten kennt.
Der Nest-ähnliche Boden ist so schön kross und crunchy, dass er fast an Kadaifi-Engelshaar erinnert. Dazu passt er sehr gut zu der Lachsforelle und dem sauren Spargel.
Und keine Sorge: Den Kirmes-Speisen wird sich hier zu einem späteren Zeitpunkt noch gewidmet…

Als dritter Snack wird Hochlandrind aus Steinfurt serviert. Eine perfekt designte braun-grün-weiße Mund- und Augenfreude aus Frischkäse, Knäckebrot und Miso. Es ist jetzt schon eins meiner optischen Highlights des Abends.

Kokerei Spritz Signature Drink und Bierstadt Dortmund
Beim Aperitif ist der „Kokerei Spritz“ der passende Signature Drink, der mit oder ohne Alkohol bestellt werden kann.
Mandarine, Thymian, Tonka-Bohnen werden hier selbst aufgekocht und dann mit prickelndem Riesling-Sekt aufgefüllt. Je nachdem für welche Variante man sich entscheidet.
(Leider werden hier keine Glashalme sondern Papphalme verwendet. Immerhin sind diese hochwertig, so dass der Geschmack nicht beeinflusst und die Halme auch nach längerer Zeit nicht weich werden. Glashalme seien schwerer zu reinigen und deshalb hier nicht im Einsatz. Mir persönlich wären sie in einem so stilvollen Ambiente aber trotzdem lieber. Nicht nur optisch. Sie müssen auch nicht aus Gold sein… )
Wer sich danach für die Weinbegleitung entscheidet, wird von einem hervorragenden Sommelier und Service durch den Abend begleitet. Ich mache von diesem Angebot allerdings nur einmal bei einem Glas Riesling zu einem späteren Zeitpunkt Gebrauch.
In der Bierstadt Dortmund ist man aber auch der Bier- statt Weinbegleitung nicht abgeneigt, wie ich am Nachbartisch beobachten kann. Und auch das ist hier völlig ok.
Noch zwei Tische weiter am anderen Ende des Restaurants sind mir die Gäste zwei Gänge voraus und es wird schon wieder gelacht. Das liegt aber nicht am Alkohol, sondern an einer Einlage, die Chefkoch Beckerling gerade vor den Gästen zum Besten gibt. Ich bin schon gespannt, was da gleich auf mich zukommt und kann es kaum abwarten...

HAMACHI AUS ZEELAND · Sauerkraut · Münsterland Knolle · Endivie ·
Vorher macht heute noch ein Hamachi aus Zeeland bei mir Halt.
Angerichtet ist er mit Sauerkraut, Münsterland-Knolle und Endivie.

Der Edelfisch wird mit Münsterland Knolle als große Pommes mit Mayonnaise auf edlen Glastellern serviert.

ZANDER VON THORSTEN PISTOLE · Fenchel · Miesmuschel · Rote Bete ·
Danach folgt schon mein Highlight des Abends: Geschmacklich, optisch und auch mit dieser feinen Prise Humor, die mir hier heute Abend immer wieder begegnet.
Mit einem verschmitzten Lächeln taucht plötzlich Pierre Beckerling mit einem Zander und einem Blutbeutel vor mir aus der Dunkelheit auf.
Jetzt weiß ich auch, warum am anderen Tisch eben gelacht wurde. Denn auch mir geht es ähnlich und auch ich kann mich genauso wenig zurückhalten als er das Blut… ich meine, als er die rote Beete neben dem Zander auf meinem Teller vergießt.

Genauer gesagt ist der Blutbeutel mit einem Rote Beete-Dashi gefüllt, das für eine sehr würzig abgeschmeckte Erdigkeit sorgen soll. Und das das Gericht durch seine tief rote Farbe auch noch einmal optisch aufwertet.

Der Zander wird begleitet von einer Miesmuschel in einer schwarzen nachgebauten essbaren und knusprigen Miesmuschelschale, die nicht weniger schön anzusehen ist – und mindestens genauso gut schmeckt.

KIRMES BLUMENKOHL · Comte · Trüffel · Rosine ·
Und dann folgt erst mein „witzigster“ Moment des Abends als Pierre Beckerling sein persönliches Kirmes-Highlight auftischt. In diesem edlen schwarz-goldenen Setting mit den goldenen Löffeln und dem stylischen Porzellan baut er plötzlich eine Pappkirmes auf und stellt davor einen „Kirmes-Blumenkohl“ von der Castroper Kirmes auf.
Es ist so herrlich verrückt und unpassend zugleich. Und passt dann doch irgendwie wieder genau hier hin.
Ehrlich gesagt liebe ich so etwas, wenn man mit den Konventionen so dermaßen bricht und in so einem Rahmen auf einmal mit Blutbeutel oder Kirmes-Utensilien auftaucht.
Geschmacklich ist der Kirmes Blumenkohl ebenfalls eine Attraktion.
Erkennbar ist der Blumenkohl zwar zuerst nicht als solcher. Mit Sauce Hollandaise übergossen und den Punkten auf der Seite ähnelt er einem Semmel-Knödel. In Verbindung mit den Aromen von Trüffel, Comte und Rosine wird der Blumenkohl aber zu einem einzigartig würzigen Geschmackserlebnis.
Witzige Details mit Ruhrpott-Charme
Eine so schicke, elegante Umgebung mit witzigen Details zu kombinieren und zu durchbrechen, spiegelt auch den so typischen Ruhrpott-Charme wider.
Und insgesamt ist auch das Team hier super freundlich, entspannt und sehr herzlich.
Man freut sich über Lob und wenn der Gast die kleinen Einfälle zu schätzen weiß und mit einem Lächeln quittiert.
Beckerling möchte Aufmerksamkeit und Ruhm auch nicht nur für sich allein und schickt deshalb auch immer wieder andere Köche und die Köchin an den Tisch, damit sie ihr selbst verdientes Lob einsammeln können.

Ein Blick in die Asservatenkammer
Weil das Spaß-Level gerade so weit oben ist und der nächste Gang noch ein bisschen warten kann, werde ich dann noch durch die Catering-Küche und v.a. die „Asservatenkammer“ geführt.
Hier zeigt mir Beckerling u.a. ein paar bunte Mugs mit Gesichtern und Ananas-Optik. Und auch SpongeBob-Figuren, die auch immer mal wieder ihren Einsatz in den Menus erhalten.

BROT VON DER NATURBACKSTUBE KREIS
Zurück am Platz folgen mir Brot und Hirsch – leider zur gleichen Zeit.
Denn ich mag es eigentlich lieber, wenn Brot zwischendurch und zu einem etwas früheren Zeitpunkt gereicht wird. Sonst kommt man in die Bredouille erst die Hauptspeise und dann das Brot essen zu „müssen“, um (in diesem Fall) den Hirsch nicht kalt werden zu lassen.
Interessant ist das Brot, das von der Naturbackstube Kreis in Dortmund gebacken wird, aber schon. Das liegt vor allem an der schwarzen Aioli, die zusammen mit dem goldenen Besteck dem Namen des Restaurants einmal mehr alle Ehre macht und sehr lecker ist.
Die Farbe ist bedeutend kräftiger (als bei der üblichen weißen Aioli). Der Knoblauchgeschmack ist dagegen etwas milder und so nicht so aufdringlich. Auch nicht bei späteren Gesprächen an der Bar.

HIRSCH VON SENDER AUS VERL · Rosenkohl · Chorizo · Sardine ·
Der Hirsch von Sender aus Verl sorgt für den gelungenen Abschluss der Hauptspeisen und vereint noch einmal sämtliche Kulturen in einem Gericht.
Rosenkohl, Chorizo und Sardine sind eine ungewohnte und extrem würzige Kombination.
Der Rosenkohl ist unterschiedlich gegart bzw. einer davon sogar frittiert. Das ist mal eine sehr gelungene Variante (auch wenn die anderen nicht weniger gut sind).
Der Hirsch wird on Top von einer Ravioli verziert. Sie ist mit Chorizo und Sardine gefüllt ist, die dadurch ein extrem würziges und ziemlich salziges Aroma erhält.
Für mich ist es vielleicht eine Spur zu salzig. Aber alles in allem sehr würzig und lecker.

BIRNE · Schmand · Kerbel · Sellerie ·
Mit einer weiteren kleinen „Showeinlage“ endet mein Besuch im SchwarzGold nun fast.
Als viel Rauch um nichts kann man die Stickstoffperlen, die dem Dessert zugefügt werden, aber nicht bezeichnen. Denn dieser gibt dem Abschluss aus Birne, Schmand, Kerbel und Sellerie nur noch einmal ein bisschen Extra-Aufmerksamkeit, die dieser Nachtisch auch verdient.
Wie man sich inzwischen denken kann, mag ich solche „Special-Effects“, die die Speisen auch optisch bereichern, sehr gern. Hübsch anzuschauen ist die gelb-grün-bernstein-farbene Komposition in jedem Fall. Und even better: Der abgefahren klingende Mix aus Birne und Sellerie wird hier u.a. als süß-saures Chutney mit einem knusprigen Chip on top sowie einem Schmand-Sorbet serviert – und ist ein angenehm kühlendes, fruchtig-süßes Dessert mit Sellerie-Aromen kurz vor dem großen Finale.

Denn am Ende wird man noch einmal mit verschiedenen Kindheits- und Jugenderinnerungen sowie einer weiteren Ruhrgebietstradition konfrontiert. Die Trinkhallen, die man in anderen Landesteilen auch als Kiosk, Büdchen o.ä. kennt, sind im Ruhrgebiet tief im Alltag der Menschen verankert.
Hier hat man sich in der Kindheit seine Süßigkeiten und als Jugendlicher möglicherweise das erste Bier gekauft.
Und daher ist es nur konsequent, dass ein Candy-Shop heute den letzten Akt dieser herausragenden Aufführung beschließen wird.
Letzte 50 Pfennig früher, heute 50 Cent zu guter Letzt
Während man sich früher mühsam die 50 Pfennige für die Gemischte Tüte zusammensparen musste, kommt jetzt tatsächlich Rapper „50 Cent“ mit dem Candy-Shop-Song auf einem kleinen Wagen und den typischen rot-durchsichtigen Kiosk-Behältern angerollt.
Der 80er-Jahre-Ghettoblaster wird heute durch eine kleine Boombox ersetzt. Und an den Nachbartischen guckt man etwas irritiert, wo jetzt auf einmal der dezente „Lärm“ herkommt.
Für mich ist es dagegen der letzte große Spaß an diesem Abend, der sich so perfekt in das Konzept aus Ruhrgebietsgeschichte, lässigen Beats und verspielten Menüs mit verschmitzten Lächeln ihrer Macher*innen eingliedert.

Auch wenn ich jetzt nicht mehr auf alle Details eingehen kann, hat es mir vor allem das Gummi-Quietscheentchen (in der Badewanne auf Watte gebettet) angetan. Leider noch keine Zuckerwatte, die perfekt zum Kirmes-Thema passen würde. „Aber wer weiß, was da noch kommt“, fügte Beckerling mit einem Lachen hinzu: „Wir überlegen immer, wie wir das noch erweitern können“.
Alles in allem ist das SchwarzGold ein perfekter Ort das Ruhrgebiet und seine Geschichte zwischen Industrie, schwarzem Grubengold, Vielfalt der Menschen und seinem feinen, spitzen Humor kulinarisch kennen und lieben zu lernen.
Selbst wenn hier nichts geschmeckt hätte, wäre es ein großes Vergnügen gewesen.
Aber keine Sorge: Auch geschmacklich war es genauso kreativ, wie lecker.
Anmerkung: Und keine Sorge Part 2: Auch wenn es sich in meinem Text zwischenzeitlich vielleicht so angehört hat:
Der Besuch im SchwarzGold ist kein Kirmes-Ausflug! Es ist weder zu überdreht, zu laut, noch zu bunt.
Die kleinen Späße (die hier eng aneinander gereiht sind) verteilen sich sehr dezent über den Abend und nehmen nicht so großen Raum ein, wie es in diesem Text möglicherweise scheint.
Es sind immer nur kleine „Schmankerl“ zwischendurch aber nicht übertrieben und ausufernd.
Man kann hier sehr gut einen ruhigen entspannten kulinarischen Abend verbringen.
Text und Fotos © Nils Hohnwald
DÜSCOVER DÜSSELDORF:
Instagram: @duescover_duesseldorf“
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