Im Hegel Eins, Stuttgart
Im Hegel Eins, Stuttgart
Entspannte kulinarische Phänomenologie.
Ein staatliches Völkerkundemuseum und eine darin befindliche, ehemalige Jägerstube als Location für Casual Fine Dining? Wir sagen unbedingt! Denn Daniel Mästling und sein junges Team servieren im Restaurant Hegel Eins in Stuttgart - genau in diesem Setting - ambitionierte Gourmetkreationen. Wir waren in diesem Winter vor Ort – hier ist unser Bericht.
Das staatliche Völkerkundemuseum Lindenmuseum in Stuttgart ziert mit neoklassizistischem Stil den Rand der Stuttgarter Innenstadt – am Hegelplatz 1.
Da liegt es doch nahe, die implizite Gastronomie nach dem Namensgeber der Adresse zu benennen, dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, welcher 1770 in Stuttgart geboren wurde. Hegel ist in Stuttgart bereits mit Kulturstätten verknüpft, so ist der Namensgeber eines bekannten Konzertsaals in der Stuttgarter Liederhalle, seinem Geburtshaus oder diversen Bildungseinrichtungen. Also warum nicht auch ein Restaurant nach ihm benennen?
Genau das hat Jan Tomasic, der Kopf hinter dem Konzept, getan. Der erfahrene Stuttgarter Gastronom mit kroatischen Wurzeln hat dem Restaurant seinen kulinarischen Kompass verpasst und ein besonderes Casual Fine Dining -Konzept ins Leben gerufen. Eines, welches in Deutschland sicher noch nicht in dieser Form und an einem solchen Ort allzu verbreitet ist - zumindest verbindet man hierzulande Museen sicher eher mit kantinenähnlicher Systemgastronomie als mit gehobener Küche.
Der Gastraum hat den Charme einer alten Jägerstube noch spürbar bewahrt, wurde aber auch modern aufgehübscht. Das Farbkonzept mit olivgrünen, schweren Vorhängen, Holzvertäfelungen, mächtigem, verschnörkelten Kronleuchtern und einer rot illuminierten Bar bricht wunderbar mit den derzeit gängigen Eintönigkeit und wirkt auf uns direkt ansprechend. Man könnte sich genauso gut in einer Szene-Bar befinden, jedoch verraten die hochwertig und professionell eingedeckten Tische, das wir es hier mit einer anderen Küche zu tu haben. Die Ungezwungenheit drückt sich auch bei Gastgeber Jan Tomasic aus, welcher lässig mit weißem T-Shirt und seiner wunderbar formlosen und sympathischen Art sofort jegliche Distanz wegzaubert. So etwas erleben wir leider viel zu selten - Casual Fine Dining exakt nach unserem Geschmack.
Daniel Mästling (41) ist seit 2019 der Häuptling am Herd und serviert mit seinem dreiköpfigen Küchenteam ein fünf bis sieben gängiges Carte-Blanche Menü (€ 132,-- bis € 156,--). Die Attribute seines Küchenstils beschreibt er als kreativ, modern, regional und saisonal zugleich. Natürlich ist das auch zugleich ein Blankoscheck in puncto Kreativität, den er sich ausstellt. Umso gespannter sind wir, was wir erwarten können.
Mästling ist selbst ein Kind der Region und verfügt bereits über langjährige Küchenchef-Erfahrung. Sous Chef Felix Herp und Patissier Kevin Paz Jiménez stehen an seiner Seite und haben allesamt Sterneerfahrung. Da kann ja kaum etwas anbrennen.
Als Aperitif gibt es heute keinen Champagner, sondern ein kühles Wulle Bier aus der Region und die Getränkebegleitung zum Menü gestaltet sich mottogetreu offen und entspannt. Immer wieder gibt es unaufdringliche und geschickte Empfehlungen. Den Anfang macht eine Flasche Sauvignon Blanc vom Weingut Emil Bauer & Söhne aus der Pfalz. If you are racist, a terrorist or just an asshole - don't drink my Sauvignon Blanc! ziert das Etikett. Unkompliziert, gut und darum geht es hier. Es darf los gehen und wir starten ohne Amuse Bouche direkt in das 7-Gang Menü. Let's Go.
Los geht’s mit gezupftem Taschenkrebs, welcher mit einer Gel-Scheibe von der japanischen Mandarine (Iyokan), Jaipur-Curry-Mayonnaise, frittierte Schwarzwurzel-Chips und Korianderkresse getoppt wurde. Hinzu kommt eine Art Vinaigrette auf Basis von Kalamansi und Mandarine. Die aromatische Konzeption ist durchaus stimmig, allerdings fehlt es dem Teller an Balance, da das feine Krebsfleisch in der schieren Menge und starker Zitrussäure der Vinaigrette leider vollständig untergeht und somit nur noch auf textureller Ebene wahrnehmbar ist. Das ist natürlich etwas schade für das Hauptprodukt. Die Ästhetik und das akkurate Handwerk zeigen allerdings schon wunderbar, wie ambitioniert hier gekocht wird. Unsere Papillen sind dank der Säure nun geschärft und wir sind voller Spannung, wie es weitergeht.
Mit einer eigenen Interpretation einer Caprese geht es weiter. Im Mittelpunkt steht eine mit Büffelmozzarella-Mousse gefüllte, falsche Tomate, welche mit Tomatenbrot, Basilikumperlen, weißen Tomaten-Marshmallows, Tomatencrumble und einem Halbring aus einer gelierten Tomatenessenz dekoriert wird. Da muss man erst einmal einen Absatz machen.
Hier hat sich das Küchenteam ambitioniert ausgetobt und die Technikschublade weit aufgemacht. Und auch wenn wir schon deutlich schlechtere Dekonstruktionen und texturelles Aufdröseln von Hauptzutaten erlebet haben, will hier der Funke auch nicht so recht überspringen. Die Verwendung von Alginat bei den Basilikumperlen sorgt zudem für ein stumpfes, giebeliges Mundgefühl. Hätten wir Büffelmozzarella mit gutem Olivenöl, altem Balsamico und frischen Tomaten auf dem Teller wäre der Genussmoment definitiv höher gewesen, was für uns immer etwas auch der Gradmesser für Sinnhaftigkeit von Dekonstruktionen ist. Natürlich ist das optische Wow größer und letztendlich ist es Geschmackssache. Lecker und eine schöner Beleg für die technischen Fertigkeiten des Küchenteams ist das Gericht durchaus.
Jetzt wird der Herd angemacht und eine wunderschöne, feinblättrige und schneeweise, in Zitronenöl konfierte Tranche Zander auf dem Teller drapiert. Ein hauchdünner Chip vom Schweineohr, Senfkaviar sorgen für einen herzhaften Gegenpart und eine marinierte Gurkenschleife, säuerliche Physalis und eine Gurken-Vinaigrette mit eingearbeiteten Dillöl für einen Frische-Twist. Das Gericht macht richtig Spaß und ist handwerklich astrein mit viel aromatischen Fingerspitzengefühl umgesetzt. Hier setzt die Küche definitiv das erste richtig dicke Ausrufezeichen des Abends!
Und es kommt fast noch besser. Wie ein Kohl-Gebirge mit einem Fächer aus Perigord-Trüffelschreiben präsentiert sich der nächste Gang optisch schon einmal bemerkenswert hübsch und unkonventionell. Die Basis bildet geschmortes Filderspitzkraut, welches mit einem getrüffelten Selleriepüree gefüllt wurde und anschließend einer grünen Staudensellerie-Emulsion überzogen wurden, um akribisch genau die in großzügig dick gehobelten Perigord-Trüffelscheiben aufzusetzen. Das hat den Anmut moderner Kunst, ist allerdings auch geschmacklich ein echter Knaller. Sellerie und Trüffel spielen sich auf Augenhöhe die Bälle zu und liefern ein tolles erdig-ätherisches Aromenbild ab. Sensationell gut!
Von einem ähnlich guten Kaliber ist auch der Hauptgang. Hier bekommen wir es mit einer, über Holzkohle gegrillten Tranche Burgaud-Entenbrust zu tun, welche mit verbranntem Lauch, verschiedenen Beten, Topinambur-Püree und einer Purple-Curry-Jus kombiniert wurde. Dabei fällt einem direkt der positive geschmackliche Einfluss der Holzkohle auf, welcher dem Teller eine schöne, immer mitschwingende, leicht rauchige Aromatik verleiht. Süße und Säure, gepaart mit der milden Zwiebelnote des Lauches sind schöne Partner zur perfekt gegarten Ende. Das Purple Curry unterfüttert das Aromenbild mit leise anklingenden winterlichen Noten von Zimtblüte, Nelken und Kardamom zudem auf schöne Weise. Ein toller Hauptgang, bei dem alles wie die Faust aufs Auge passt.
Das erste Dessert des Abends nimmt sich als Thema einen Berliner Klassiker vor: Die Berliner Weisse. Statt Waldmeister oder Himbeer-Sirup, wird ein intensiv fruchtiges und erfrischendes Kirschsorbet hergenommen, stilecht in einem Berliner-Weisse-Glas serviert und von einem Bierschaum überzogen. Da Berliner Weisse für sich genommen relativ malzig und wenig hopfig ist, passt die Kombination perfekt. Und was in Berlin funktioniert, kann logischerweise in Stuttgart ebenso wenig schiefgehen. Nicht euphorisierend, aber lecker und erfrischend allemal.
Das Hauptdessert übt sich ebenso in optischer Schlichtheit, da es von einer Kuppel aus Zuckerwatte komplett verhüllt wird und lediglich mit vier Tupfen Guaven-Gel ausdekoriert wurde. Die Kombination aus Zuckerwatte, Ziegenkäse und Guave ist sensationell stimmig und auf den Punkt umgesetzt. Denn unter der Zuckerwatte befinden sich ein Ziegenkäse-Eis, ein frisches Espuma aus Ziegenjoghurt und eine Dulce de Leche von der Ziegenmilch, welche in einem gefrorenen Ring aus Guave umschlossen werden.
Wir sind nicht die größten Freunde von Ziegenkäse, umso mehr hat es uns dieses tolle Dessert angetan. Großes Kino mit reichlich Understatement!
Bei den abschließenden Petits Fours staunen wir nicht schlecht. Diese (v.a. die Canelés de Bordeaux) sind absolut hervorragend gelungen und schließen ein bemerkenswert gutes Menü ab, welches sich kontinuierlich steigerte und sogar - nach kleinen Startschwierigkeiten - auf allen Ebenen brillierte.
Besonders lobenswert (neben der Küche) ist das ausgesprochen legere und ungezwungene Service-Konzept, welches einem eher das Gefühl gibt, bei Freunden zu sein und mit Herzlichkeit, statt förmlicher Distanz glänzte. Hegel hätte das Konzept wahrscheinlich als entspannte kulinarische Phänomenologie bezeichnet. Wie auch immer, wir freuen uns bereits auf das nächste Mal.
Alkoholische Getränkebegleitung
Ob Cocktail, Bier, Wein oder Champagner. Das Angebot der Getränke ist umfangreich und dem legeren Rahmen durchaus angemessen.
Wer umfangreiche Weinkarten mit großer Jahrgangstiefe, gereiften Rieslingen oder Burgundern sucht, sollte vielleicht höflichst BYO anfragen oder den Fokus schlicht auf die tolle Küche von Daniel Mästling und Team legen.
Fazit:
Tolle Küche trifft auf die wohl entspannteste Dining-Atmosphäre der Stadt. Schon jetzt ein Rohdiamant und auf dem besten Wege zum Stuttgarter Gastro-Juwel. Klare Reservierungsempfehlung!
Hegel Eins
Hegelplatz 1
70174 Stuttgart
(07 11) 6 74 43 60
www.hegeleins.de
Text, Fotos © les-etoiles.de
auf Instagram zu erreichen unter: @les.etoiles_blog