HANDWERK - Hannover
HANDWERK - Hannover
Küchenchef Thomas Wohlfeld = Ein Handwerker mit klarer Handschrift
„Wir kochen, was wir wollen!“ flötet Serviceleitung Ann-Kristin Wohlfeld selbstbewusst in ihre Maske. Dieses Selbstbewusstsein musste sich das kleine Team erarbeiten. Denn im hannoveranischen, eher klassisch geprägten Gourmetumfeld, das sich irgendwo zwischen Loriots Benimmschule („Das Beste sitzt unter der Haut!“) und affektierten Kellnern mit zu eng sitzenden Sakkos verorten lässt, stieß das entspannte „Du“ der Handwerker*innen zunächst auf Irritation. Auch kulinarische Experimente wurden teilweise von einschlägigen Internetgroßankündigern argwöhnisch kommentiert. Zum unprätentiösen „Du“ erzogen und sympathisch ans Casual Fine Dining herangeführt, pariert das Hannover-Publikum mittlerweile und trudelt mit niedersächsischer Zuverlässigkeit seit 4 Jahren im Handwerk ein.
Das Konzept des kleinen Restaurants in der zart verschnarchten Südstadt bildet ab, wie Ann-Kristin und Thomas Wohlfeld selbst gern essen gehen würden: „Keine Steifheit! Wir wollen keinen Kellner, der uns den Stuhl vorzieht, wenn wir aufstehen möchten; bei uns kann man mit Cappi und Hoodie ins Restaurant kommen.“ Atmosphärisch würde man alle im Team direkt zu sich nach Hause einladen und wenn die Stühle nicht reichen, wird’s eben auf dem mit Kissen ausgelegten Boden gesellig. Das Essen bliebe Hochsitzformat. Kein 08/15, dafür am liebsten 24/7!
Diese Formel zeigt sich schon beim ersten Gruß aus der Küche. Service-Lady Laura Körner präsentiert uns ein Rote-Beete-Baiser mit selbst eingelegten Tomaten und Olivenölmayonnaise, gefolgt von einem Cornett mit Vanille-Kimitsu und gedörrter Karottencreme, dazu krachende Kartoffelröllchen, in denen eine temperamentvolle Kaffee-Kerbel-Creme versteckt ist. Laura rät an, die Mini-Vernissage in vorsortierter Reihenfolge zu genießen.
Gerade noch deuteln wir das durchdachte Geschmacksbild des ersten Amuse Gueule, als Ann-Kristin gut gelaunt mit dem zweiten Einstimmer an unseren Tisch tänzelt: die Fjordforelle planscht in einem High-End-Buttermilchsud, den wir in seiner Umami-Dichte nicht erwartet hätten. Forellenkarvier und geröstete Haselnüsse runden den Sprachlosmacher ab.
Ann-Kristins Partner und Papa des Kindes, das sie derzeitig noch als Minimurmel durch den Gastraum schaukelt, verleiht dem Handwerk als Küchenchef eine klare Handschrift. Thomas Wohlfeld steht auf Säure und Salz. Das kann auch mal herausforderned sein, wie sich in der folgenden Vorspeise zeigt. Das Kalbstartar wird virtuos vom Wasabi begleitet und von einem Taler aus salzigem Hippenteig behütet. Kombi und Knusper sitzen! Da die Portion recht großzügig ausfällt, zeigt sich auch der Salzgehalt beinahe überbordend und wird gerade noch vom Erbseneis ausgebremst, das die Harmonie auf dem Teller wieder ausbalanciert.
Gut, dass alle im Team als kulinarisches Korrektiv wirken und im Rahmen der demokratisch angelegten Teamessen Thomas‘ Salz-Säure-Fanboytum relativieren und seine Teller auch für ungeübte Gäste anschlussfähiger machen. Anschlussfähig ist die Küche auch in Bezug auf anlassbezogene Erfordernisse: Für die Schwangere am Tisch springt Gurke für das Kalb ein; für die Kinder, die schon geboren und sitzfähig sind, steht selbst gemachte Tagliatelle bereit. Aus Abstinenz-Solidarität nippe auch ich an einem alkoholfreien Aperitif, der erfrischt von Minze und bevollmundet durch Traube durchwegs ohne Alkohol auskommt. Dazu mümmeln wir am Sauerteigbrot und frisieren uns mit olivenbestaubter Butter die Vorfreude auf den nächsten Gang hoch.
Die Raffinesse der Aperos fehlt dem grünen Spargel des Zwischengangs etwas. Er glänzt zwar wie die Stirn eines stark pubertierenden Jugendlichen, bleibt marinadetechnisch aber schwachbrüstig. Die Olivencreme ist gut gemeint, lümmelt aber etwas unverstanden auf der Keramik. Von den erfrischenden Grapefruittupfen wünscht man sich mehr, weniger von den groben Parmesanblättchen, die dem Gang mit ihrer Vordergründigkeit etwas an Eleganz rauben. Meine Begleitung mag’s, für mich darf es weitergehen.
Der Yuzu-Lolli mit würzigem Basilikumschaum entfacht kindliche Begeisterung und belebt uns vor dem Hauptgang, der zu unseren Favoriten zählt.
Der Maibockrücken ist ein starker Protagonist und wird von eingelegten grünen Erdbeeren säuerlich befruchtet. Da bekanntlich aller guten Dinge Brei sind, gibt es den vom Blumenkohl, während eine samtig-kirschige Rehjus diesen besonderen Teller mit Feinschliff abrundet. Treffer versenkt!
Wir lehnen uns zufrieden zurück und lassen die Blicke durch den Raum schunkeln: An der Wand hängen selbst geschossene, vergrößerte Fotos; zu sehen sind Barcelona-Streetart und Eindrücke vom Umbau des idyllischen Gartenlokals, das zuvor eine Bäckerei und eine Kneipe beherbergte. Das Ambiente ist wie die Tellersprache geschmackvoll reduziert. Industrial Charme meets 60er-Jahre- Design-Klassiker-Bestuhlung und alles bleibt in dezenten Grautönen gehalten, um nicht vom beschaulichen Blick in den Garten abzulenken.
Genau der richtige Moment, um mit dem ersten Dessert zu beginnen: Das Rhabarber-Granité, das als abgekratztes Eis mit knusprigerer Textur als ein Sorbet aufwartet, und souverän auf dem Sauerrahmeis thront, wird vom Petersilienöl perfekt ergänzt. Die Geheiminfo vom Küchenchef: das Öl kann mit ordentlich Petersilie und Sonnenblumenöl zügig mit dem Thermomix selbst gebastelt werden. Ausprobierwürdig! Wir sind begeistert von Thomas‘ Lieblingsgang, haben aber noch nicht genug.
Dessert Nr. 2 kombiniert eine Eiscreme aus brauner Butter mit saisonal roten Erdbeeren. Dass das funktioniert, muss nicht weiter kommentiert werden. Die kleinen in Erdbeere getränkten Brioche-Schwämmchen holen Zusatzpunkte in der Kategorie Fluffigkeit. Mein Gegenüber und ich lächeln beseelt: sie Human Baby, ich Food Baby – vom Bauchumfang her kein Unterschied. Wir plaudern noch ein wenig mit Thomas und Ann-Kristin, die beweisen, dass Hygienekonzept und professioneller Service sich nicht ausschließen müssen und uns verraten, dass die guten Weinflaschen im 2,50 Meter hohen Keller wie ein Raketenarsenal bereit liegen. Wir wissen, wo wir einbrechen müssen, aber werden von Thomas im gleichen Satz auf die hochwertige Alarmanlage verwiesen. Schon gut, wir kommen auch legal wieder, werden aber vorerst mit den Petite Fours aus weißen Schokoladenpralinen (mit Olive gefüllt) und den portugiesischen Vorzeige-Blätterteigtörtchen Pasteis de Nata verabschiedet. Vorhang und Kinnlade fallen runter und wir in die Nacht hinaus.
Restaurant Handwerk
Altenbekener Damm 17, 30173 Hannover
Tel: 0511 26 26 75 88
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Fotos, Text © Michaela Bauer