Erneut im Restaurant "5" in Stuttgart
Erneut im Restaurant "5" in Stuttgart
Der Beweis: Kreative Küche macht Gäste glücklich.
Stuttgarts lässigster Gourmettempel direkt am bekannten Schlossplatz wurden Ende letzten Jahres zwei große Ehren zu teil: Der Große Guide zeichnete das Restaurant als "Lifestyle Restaurant des Jahres" aus und Trip Advisor setzte das Restaurant auf Platz 1 der Gourmetrestaurants bundesweit als „Travellers’ Choice 2019“.
Wir sind heute als Wiederholungstäter hier. Bei unserem ersten Besuch vor einigen Monaten hatten wir weder konkrete Vorstellungen noch Kenntnisse von der Küche und wurden weit über das Erwartete positiv überrascht.
Einerseits wirkt schon die ganze Restaurant-Einrichtungsidee von Eigentümer und Ex-Fußballprofi Michael "Zico" Zeyer besonders, ja geradezu als wäre man irgendwo sonst auf der Welt - nicht in Deutschland und schon gar nicht in der schwäbischen Metropole. Mit den schweren, schwarzen Nietenbalken, uneinheitlichen, wuchtigen Ledersesseln, dunklem Nussholz, mystisch-erotischen Gemälden und viel Vintage könnte man sich genauso in New York oder London wähnen. Kein Kitsch, keine Tischdecken und maximal lässig.
Auch die kulinarische Konzeption ist durchaus schlüssig: Im Erdgeschoss ein ungezwungenes Café-, Bar-, Lounge- Konzept mit Bar-, Brunch- und Mittagstisch-Angebot, im ersten Obergeschoss das Gourmetrestaurant 5, welches seit 2012 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist.
Hauptsächlich verantwortlich für die kulinarischen Erlebnisse ist Alexander Dinter. So heißt der Küchenchef und kulinarische Reiseleiter des Restaurants. Bei unserem letzten Besuch überraschte man uns hier mit modern interpretierter Cross-Over-Küche in durchaus neuem Gewandt. So servierte Dinter beispielsweise ein japanisch interpretiertes Vitello Tonnato mit Thunfisch-Sashimi, Kalbscreme, Gurkeneis, Zitrusnoten und Dashi-Aromen. Diese moderne, interkulturelle Interpretation mit kreativem Rollentausch der Protagonisten (Thunfisch und Kalb), unterschiedlich austarierten Textur- und Temperatur-Ebenen, sowie die offenkundige Entledigung jeglicher Dogmen und kreativer Grenzen, sind schon einmal ein Grund zu das 5 zu besuchen.
Ein mindestens gleichwertiges weiteres Argument ist der Geschmack, welcher so harmonisch und bodenständig komponiert wurde, als ob sich eine italienische und japanische Oma die Küche geteilt hätten. Völlig zugänglich, unbeirrbar wohlschmeckend mit viel spritziger Säure - trotz gewagt anmutender Interpretation.
Die Vita Dinters ist dabei äußerst geradlinig und besteht im Wesentlichen aus einer 14-jährigen Tätigkeit im Restaurant des Hotel Stadt Tübingen in Tübingen, wo er sich zum Küchenchef hocharbeitete. Danach wechselte er ins 5, wo er unter Claudio Urru als Sous-Chef arbeitete und nach Urrus Weggang in die Selbstständigkeit nach Hamberg seit Sommer 2018 alleiniger Küchenchef wurde. Offensichtlich hat diese Entwicklung Alexander Dinter gut getan und ist vielleicht ein Indiz, dass zu viele große Meister und Kochstationen ein derart eigenständiges Profil eher unterbinden - zumindest haben wir das schon beobachtet.
Das große Menü "Passion" mit 8-Gängen (€ 188,--) wird es heute wieder werden. Auch dieses Mal wimmelt es von interessanten Kombinationen und Bezeichnungen. Was ist denn bitte ein "virtuelles 1000-jähriges Ei"? Wir werden es bald erfahren.
Los geht es mit einem "Süß-Sauer-Burger" mit Physalis-Texturen, Buttermilch und Kopfsalat. Der kleine Happen ist frisch am Gaumen und besitzt ein schön säuerlich-fruchtig austariertes Geschmacksbild. Ein eleganter Weckruf an die Papillen.
Der Reigen an Apéros geht weiter. Eine warme Polenta-Krokette mit Tomate-Olive schmeckt ausgezeichnet herzhaft und kommt ohne Massigkeit und Pappigkeit am Gaumen aus. Als Löffeldegustation folgt marinierte Foie Gras mit Sojasauce, was mit viel Umami, angenehmen Schmelz und einen gekonnt austarierten Salzgehalt einher geht.
Als weiterer Apéro folgt ein präzise abgeschmeckter und kurzweiliger "Bouillabaisse-Burger". Es ist erstaunlich wie es Alexander Dinter schafft das die Aromen in dem kleinen Happen, welcher direkt am Gaumen schmilzt, zu konzentrieren.
Das Amuse Bouche ist schon gleich ein echter Dinter, nämlich ein feinsinnig komponiertes Säure- und Texturenspiel mit maximaler Zugänglichkeit. Reife, mild-süßliche Papaya (in unterschiedlichen Texturen) trifft auf Avocadocreme, Rettich und knusprig, geröstetem Quinoa und britzelnde, frische Säure. Etwas Frischkäse-Eis verbindet alles zu einer kontrastreichen sensationellen Kombination. Nicht weniger als hervorragend!
Dinters Brot und Aufstrichauswahl hat uns schon das letzte Mal nachhaltig beeindruckt. Und auch heute präsentiert sich die Brot- und Aufstrichauswahl als kreative Antithese zur häufig anzutreffenden Sauerteigbrot-Tristesse mit gesalzener Butter (was auch sehr gut sein kann, keine Frage). Selbstgebackene Brioche- ,Trüffel- und Karotten-Harissa-Muffins oder rote Beete-Knäckebrot, alles saftig, buttrig, warm und sündhaft gut. Dazu aufgeschlagene Nussbutter, Tagetes-Butter und Steinpilz-Wiesenkräutercreme. Das geht kaum besser.
Mit dem Titel "Brokkoli liebt Parmesan" startet das Menü offiziell. Eine Liaison, welche durchaus überzeugt und wiederum von belebender Zitrussäure befeuert wird. Der Parmesan wird in verschiedenen Konsistenzen und Temperaturen präsentiert und mit knackig, gebratenen Brokkoli-Röschen kombiniert. Einige Croûtons konterkarieren mit ihrer knusprigen Textur. Brokkoli liebt Umami und Säure - ohne Frage. Nicht das ganz große Kino, aber dennoch eine wunderbar kurzweilige und leckere Angelegenheit.
In ähnlichen Gefilden - und trotzdem ganz anders - bewegt sich auch Alexander Dinters' Signature Dish. Blumenkohltexturen, Macadamianuss-Pudding, Purple Curry Eis, Trauben, Bergamotte und etwas gerösteter Bulgur vermischen sich zu einer herrlich zugänglich cremigen, süß-säuerlichen, getreidigen Komposition mit etwas ayuvedischer Flower Power. Maximale Zugänglichkeit und dennoch spannend changierende Geschmacksbilder - schlichtweg grandios komponiert.
Und während die Küche gerne mal die Frage nach Hierarchien auf dem Teller offen lässt. So besteht beim nächsten Gang dahingehend gar kein Zweifel. Ein "virtuelles Eigelb", oder vielmehr eine Mousse aus Eiweißcreme (geschmacklich an Frischkäse erinnernd) mit Eigelb-Gelee-Überzug, feine Staudensellerie-Streifen, eine Räuchertofu-Eis und Ponzu begleiten ein schönes Exemplar einer roten Riesengarnele (Carabinero), welche mit etwas fermentiertem Knoblauch betupft ist. Aromatisch greift alles sehr schön ineinander, und trotz der Spielerei mit dem virtuellen Eigelb, wirkt der Teller für hiesige Verhältnisse bemerkenswert reduziert und geradlinig. Gerne mehr davon!
Der nächste Protagonist ist sicherlich eher Geschmackssache. Es gibt Zunge, und zwar vom Wagyu-Rind. Dinter fasst eine großzügige Tranche mit Himbeere, Estragon, Tramezzini, Brunnenkresse, Zwiebelamaranth und Aceto Balsamico ein. Das Stück Zunge ist zart und fein marmoriert, was den typischen Eigengeschmack deutlich hervorhebt. Das fruchtig-bittersüße Aromenspiel funktioniert tadellos und verhilft der, etwas aus der Mode gekommenen, Innerei zu einem eleganten Revival. Hervorragend umgesetzt und sicherlich nichts für Zungenphobiker.
Auch die Tranche bretonischen Steinbutts mit feiner Limettenzesten-Note und Wildreis-Knusper, welche von Alexander Dinter persönlich am Tisch mit einem heißen, klassisch abgeschmeckten Dashi angegossen wird, ist ein Beispiel für die aromatische Feinfühligkeit der Küche. Etwas gepickelter schwarzer Rettich, Shiitake-Pilze, etwas gehaltvolles Ochsenmark und Salicornes ergänzen die Komposition hervorragend und überlassen dem Fisch vollständig die Bühne. Lediglich bei der sehr intensiv jodigen Austernperle (aus Austernmousse) sind wir uns nicht ganz sicher, ob diese nicht eher ein Störenfried ist. Weise und sparsam dosiert ist das sicherlich reine Geschmackssache und tut der Freude an diesem Teller auch keinen Abbruch. Wunderbare japanisch-französische Crossover-Küche allemal!
Als kleinen, kurzweiligen Einschub vor dem Hauptgang serviert die Küche eine hübsche, kleine dekonstruierte Ochsenherztomate, welche am Gaumen ihr umamireiches, fruchtiges Aroma schön preisgibt.
"Ein Bison in Amerika". Als interkontinentale, harmonische Aromenvereinigung knüpft sich die Küche beim Hauptgang Nordamerika und Asien vor. Zartes sous-vide gegartes Bisonfleisch mit mixed Pickles auf der Ostseite des Pazifiks und Kombu, Wasabi-Hollandaise, Yuzu-Gel und Tapioka auf dessen Westseite. Insbesondere die feine Wasabinote der Hollandaise und das feine Yuzu-Parfüm bringen viel Spaß und machen den Teller harmonisch zugänglich und multidimensional zugleich. Wenig Friktion, dafür maximaler Wohlgeschmack ohne Belanglosigkeiten - Alexander Dinter und Team zeigen wie's geht.
Die Optik des pre-Desserts nimmt sich thematisch einem deutschen Klassiker an und besteht aus einem Estragon-Pesto , einer Passionsfrucht-Sphäre und etwas Joghurt. Auch hier ist alles gelungen und auch die Kombination von exotischer Passionsfrucht mit dem einheimischen Kraut harmoniert wunderbar. Mit Sicherheit das erfrischendste Spiegelei unseres Lebens.
Das Hauptdessert ist mindestens genauso lecker und beschäftigt sich ebenfalls mit einem Klassiker, dem Liebesapfel. Die Rummelsplatz- und Weihnachtsmarkt-Spezialität wird (wie immer) à la Dinter neu interpretiert, in dem die Kugel nicht einen Apfel, sondern eine Karamell-Mousse enthält. Der Apfel wird als frische, säuerliche Perlen und Sud ergänzt. Ein paar Sablé-Kekse sorgen für etwas Crunch und Cranberry-Gel für feine Bitternoten. In Gänze ein elegantes und kreatives Wohlfühldessert.
Wer noch etwas Lust auf Käse verspürt, wird ebenfalls erhört und bekommt mit Roquefort, Feige, Haselnuss und Shiso gleich eine erstaunliche franko-japanische Antwort. Wir staunen nicht schlecht, wie Dinter es schafft den schweren, extrem würzigen Käse mit einem Eis aus roser Shiso (-Kresse) in ein frisches, leichtes Gewandt zu packen. Etwas Haselnuss und Feige, um die Konservatisten nicht allzu sehr zu provozieren und voilà wir haben einen originellen Käsegang. Wunderbar!
Ein paar hübsche Petits Fours beenden ein (wieder einmal) beeindruckendes Menü, welches vor unkonventionellen Aromenkombinationen nur so strotzte, zu keiner Zeit überforderte und schlichtweg saulecker war.
Auch das Restaurant war heute wieder bis auf den letzten Platz ausgebucht, was wahrscheinlich immer noch das größte und vor allem brauchbarste Kompliment für Küche & Service ist. Wir freuen uns bereits auf die Wiederkehr!
Getränkebegleitung:
Besonders erwähnenswert (neben dem sympathischen Service) ist jedes Mal die passioniert ausgewählte Weinreise von Dirk Romann, welcher auch gerne mal eine reine Magnumflaschen-Begleitung kredenzt und mit herzlicher Sympathie und viel Fachwissen glänzt. Jedesmal eine Freude!
Aperitif: |
R. Pouillon et fils, Champagne, Brut Réserve |
1. Gang: Broccoli |
LochRiesling, trocken, Herrenberg, 2018, Saar (Magnum) |
2. Gang: Blumenkohl |
Christoph Hammel, Liebfraumilch Premium, schwarze Madonna Qba, 2018, Pfalz (Magnum) |
3. Gang: Carabinero |
Xosé Lois Sebio, Albarino 'O Con Rias, 2018, Rias Baixas, Spanien |
4. Gang: Wagyu-Zunge |
Château Gambon, Récolte, 2018, Beaujolais (Magnum) |
5. Gang: Steinbutt |
Weingut Baron Longo, Cuvée Liebenstein (Weißburg./Chard.), 2018, Unterland (Magnum) |
6. Gang: Bison |
F. Olazabal & Filhos, Meandro do Vale Meao, Douro DOC, 2017, Portugal (Doppelmagnum) |
7. Gang: Dessert |
Weingut Anton Kollwentz, Weißburgunder Auslese, 1991, Burgenland |
8. Gang: Käse |
Alvear, Pedro Ximénez, Solera 1927, Sherry, Spanien |
Das Team
und unser Fazit:
Dinter kocht Dinter.
Und das endet fast immer in herrlich zugänglichen und genialen Kreationen mit lässigem Augenzwinkern und exzellentem Handwerk. Ein süchtig machender Genre-Mix mit einer tollen Prise Unberechenbarkeit. Definitiv ein kulinarisches Muss in Stuttgart!
Text, Fotos © les-etoiles.de