Ein Fragegespräch mit Ilona Scholl (Tulus Lotrek - Berlin)
Ein Fragegespräch mit Ilona Scholl (Tulus Lotrek - Berlin)
Ilona Scholl, ahnbare Gangster-Rapperin in spe, bisweilen vinologisches It-Girl und nun auch noch intellektuell schwerst munitioniertes Podcast-Leuchtfeuer nebst Philosophenbruder Peter Smits, frontet als geschäftsführende Zeremonienmeisterin in ihrem Speiselokal Tulus Lotrek klassisch-französische Hautevolee ohne Snobismusfeindlichkeit. Scholls Premium-Gehirn hat Bisskraft, ihr glasfaserverkabeltes Sprachzentrum flext Feuilletonist*innen zärtlich hinter die Punchlinie und ihr unbeschlipster Charme erhöht die Aufenthaltsqualität im Gastraum mit liebenswürdiger Ich-lasse-dich-im-Tischtennis-gewinnen-Zurückhaltung.
Meine gastronomische Lieblings-Wachbirne vermeldet nachfolgend inspirierende Frauen, erklärt ihren Selbstoptimierungsüberdruss und verrät rührende sowie verstörende Geschichten aus ihrem Kreuzberger Restaurant.
Was muss man über dich wissen?
Oh, ist das so eine Biograghie-Frage. Ich habe gar keine Kurzbetriebsanleitung für mich. Ich habe auch nichts, bei dem ich sage, ich möchte Menschen davor warnen. Ich bin vielleicht manchmal ein bisschen nassforsch im ersten Moment. Und ich mag keinen Milchreis.
Wirst du lieber unterschätzt oder überschätzt?
Ich werde lieber unterschätzt. Überschätzt zu werden, entwaffnet mich immer. Grundsätzlich ist es gar keine schlechte Grundbegegnungshaltung, wenn man etwas entwaffnet ist, aber wenn jemand einen wirklich überschätzt oder man merkt, man hat eine Reputation, die presseaufgebauscht ist, dann muss man hart liefern. Und nicht, dass ich mir das nicht grundsätzlich zutraue, aber es ist viel schöner aus der Tiefe des Raumes zu kommen und jemanden umzuhauen mit einer richtig fulminanten Erfahrung, wenn die Erwartungshaltung nicht ganz so überspannt ist.
Die rührendste und die verstörendste Tulus-Lotrek-Geschichte?
Die rührendste Geschichte betraf eine Frau, die vor zwei Jahren im Sommer hier draußen allein und ganz andächtig gegessen hatte. Irgendwann fragte sie, ob sie den Küchenchef sehen dürfe. Nun ist Max kein Grüß-August und kommt auch nicht so gerne raus, aber ich hatte so ein Gefühl, hier würde es um etwas Wichtiges gehen. Sie erzählte uns dann, dass sie zwei Jahre vorher mit ihrem Mann da war, der nach langer Krankheit mittlerweile verstorben sei. In seiner letzten Zeit im Krankenhaus hatte er ihr eine Liste mit Restaurants und Urlaubsorten angefertigt, die sie im ersten Jahr nach seinem Tod aufsuchen und daran denken sollte, wie schön es dort gemeinsam gewesen war. Sie sollte nicht zu Hause sitzen und sich vergraben, sondern die Erinnerung lebendig halten und weiterziehen. Und das ist so eine liebevolle, von Zuwendung gekennzeichnete Geste an eine Partnerin, die uns hier alle zum Heulen gebracht hat.
Die verstörendste Geschichte hat gar nicht so einen wahnsinnigen Unterhaltungswert. Das war ein Kollege, ein namhafter deutscher Sommelier, schon auch ein bisschen selbstverliebt. Das merkt man daran, dass jemand reinkommt und im Grunde genommen fragt „Kennen Sie mich?“. An diesem Tag war unser Kühlhaus abgeschmiert und wir hatten jemanden in der Küche, der sich verletzt hat. Wir waren total voll, unterbesetzt und die Tatsache, dass das Getränke-Kühlhaus kaputt war, hat nicht geholfen bei der idealen Servier-Temperatur des Weines. Wir haben wirklich unser Bestes versucht, aber es war klar, dass das nicht rund laufen würde. Ich bin auch an mehrere Tische gegangen und habe die Situation erklärt, mich entschuldigt und um ein bisschen Geduld für uns gebeten. Der Typ allerdings ist so dermaßen Schlitten gefahren mit mir, hat sich über alles beschwert, wollte Gänge nochmal bekommen, weil ihm die Kerntemperatur von irgendwas zwei Grad zu niedrig war. Und das hat mich total fassungslos gemacht in dem Moment. Denn normalerweise, wenn du als Kollege oder Kollegin so etwas mitbekommst, hast du Verständnis, weißt, du bekommst was ausgegeben und der Abend zählt dann mal nicht. Und wir sind ja super zugewandt und machen Handstand mit Überschlag, wenn es sein muss, aber es hat sich fast sadistisch angefühlt in dem Moment. Und ich war noch so frisch im Business als eine Person, die auch Personalverantwortung hat. Damals konnte ich mich nicht abgrenzen von dieser Gnadenlosigkeit und Anspruchshaltung, heute würde ich die Rechnung übernehmen und ihm einen schönen restlichen Abend wünschen.
Entscheide dich:
Hedonistin oder Feministin?
DA muss ich mich entscheiden?
Wir sind hier nicht zum Spaß, Ilona.
Aber die sind so was von gar nicht mutually exclusive. Ich kann mich nicht für “nicht Feministin” entscheiden. Dann Feministin, ja, obwohl ich eine hedonistische Feministin bin.
Nie wieder Battle-Rap oder für immer Thigh-Gap?
Dann wohl für immer Thigh-Gap, weil ohne Battle-Rap geht es mir wirklich schlecht.
Mit Friedrich Merz eine Burschenschaft gründen oder ein einwöchiger alkoholfreier Schweige-Kloster-Aufenthalt mit Peter Smits?
Letzteres!
Das geht ohne Reden?
Muss dann! Bevor ich mit Friedrich Merz eine Burschenschaft gründe, ganz ehrlich, mache ich die Peter-Smits-Schweigeklosternummer auch noch im Handstand.
Zweites Standbein: Gangster Rap oder Feuilleton?
Gangster Rap! Also ich kann das sicher nicht gut, aber bevor ich Feuilletonistin werden würde. Und es macht einfach irre Spaß Beleidigungen mit Reimstruktur aneinanderzureihen.
Fastenkur mit Max Strohe oder Selbstoptimierungsbootcamp mit Marie-Anne Wild?
Boah, will ich beides machen. Da ich schon eine Fastenkur mit Max gemacht habe, würde ich Bootcamp mit Marie wählen.
Nie wieder Wein oder jeden Tag joggen?
Ehm, ich jogge jeden Tag.
Was? Ich dachte, du tust immer nur so in deinen Insta-Stories und guckst eigentlich nur Vögel im Park?
Nee, das ist meine Belohnung für nach dem Laufen. Tut mir leid, aber ich brauche das als Ausgleich und nie wieder Wein wäre niemals eine Option. Also auf gar keinen Fall!
Ich hätte dich so eingeschätzt, dass du Menschen verachtest, die jeden Tag selbstoptimierungsgeplagt joggen müssen.
Tut mir leid, aber du willst mich nicht erleben, wenn ich keinen Sport machen kann. Ich hänge das nicht an die große Glocke, weil dieses Selbstoptimierungs-Mindset, mit dem viele Leute an Sport herangehen, für mich nicht der Grund ist. Was ich verachte, ist diese neoliberale Selbstoptimierungs- Attitüde, die ganz häufig mit Leuten einhergeht, die dann posten, wie viele Kilometer sie gelaufen sind
als Überlegenheits-Ausweis den Leuten gegenüber, die ihren inneren Schweinehund offensichtlich nicht überwinden können. Das nervt mich. Und auch dieses biopolitische Wir-müssen-die-ganze-Zeit-vernünftig-sein. Das sind nicht meine Beweggründe. Ich laufe so langsam oder schnell, wie es mein Kopf in dem Moment braucht.
Bitte beende folgende Satzanfänge…
Frauen und Essen … sollten aufhören, sich gegenseitig als feindliche Gewässer zu betrachten.
Kreuzberg braucht uns, weil … Kreuzberg braucht uns nicht. Wir brauchen Kreuzberg. Ich würde an keinem anderen Ort lieber dieses Restaurant machen wollen. Ich mag’s, dass wir hier, obwohl wir quasi schon auch Gentrifizierungs-Gewinnler sind, so wohlgelitten sind. Ich mag, dass unsere genervten Nachbarn nicht die Polizei rufen, sondern unsere Plakette abschrauben, das Gespräch suchen oder mit Eiern werfen. Ich mag es angeschnauzt zu werden, wenn was los ist, und dass hier nichts monatelang in sich hineingefressen wird. Ich mag den Lokalkolorit dieser ganz unterschiedlichen Leute, die hier durchschlawinern unglaublich gern.
Wer zu uns Essen kommt, … wird hoffentlich im Laufe des Abends alle guten Vorsätze über Bord werfen, die er morgens noch gefasst hat.
Über das Tulus Lotrek sollte niemand wissen … wie mein Büro aussieht.
Solange eure Gäste ihre Füße unter euren Tischen haben, ... haben wir gute Füße unter unseren Tischen.
Mein Antikater-Rezept: Eine Folge Ted Lasso und Pommes mit Trüffel-Mayo.
Über Kritik ärgere ich mich, wenn … sie ein Vehikel ist, das nur dazu dienen soll, dass Menschen sich selbst wichtig machen wollen und ihr Gegenüber klein. Also wenn Kritik zum Statusmarker wird, dann nervt mich das.
Mein schönstes Kompliment war… richtig toll! Und zwar auch, weil es so absurd war. Ein Vater mit seiner Tochter, die häufiger kommen und ganz großartige Leute sind, waren beide in ihr Gespräch vertieft und ich deckte gerade die Teller und Buttermesser ein und habe versucht, das so behutsam und wenig ins Gespräch eingreifend wie möglich zu tun. Das ging richtig daneben. Ich habe total genervt, war ganz unbeholfen und habe viel zu viele Geräusche gemacht und dann erlaubte ich mir den Eingriff ins Tischgespräch und entschuldigte mich dafür, dass ich gerade hartnäckig versucht habe, nicht zu stören, mir das aber überhaupt nicht gelungen ist. Und dann sagte er:
"Frau Scholl, mit Ihnen ist es so wie mit Pinguinen", dann machte er eine Kunstpause: “Wurden Sie schon einmal irgendwo von einem Pinguin gestört?”
Meine Güte, wie herzergreifend. Ich hoffe, das steht zu Hause auf deinem Badezimmerspiegel?
Das muss ich nirgends hinschreiben. Das werde ich nie vergessen und war mit Abstand das schönste Kompliment, das mir jemand gemacht hat.
Welche Frauen inspirieren dich und in welche Bar würdest du mit ihnen gehen?
Mich inspirieren Frauen aus der Libertinage sehr. Ich finde Salomé Balthus ist eine total inspirierende Frau. Sie ist eine schreibende Hure, eine Intellektuelle, die sich immer wieder anlegt mit Chefredakteuren mit fragwürdigen Frauenbildern, aber auch mit Abolitionistinnen, und sich sehr differenziert und scharfzüngig mit Problemstellungen auseinandersetzt. Mit ihr würde ich in die Bar Freundschaft gehen.
Drei verfolgenswerte Homegirls aus der Gastro-Szene?
Claudia Steinbauer, Marie-Anne Wild und Clara Hunger. Oh Gott, und natürlich Anna! Anna Hernandez Götz, die irgendwann mein Lieblingsrestaurant eröffnen wird, wenn sie bei uns mal aufhört.
Welche Frage hätte ich dir noch stellen sollen?
Ob ich eine Karriere in der Gastronomie Menschen empfehlen würde. Die Antwort lautet whole-heartedly Ja! Man muss aufpassen, wo man hingeht und dass das ein Soziotop ist, in dem man wachsen kann. Aber es ist eines der erfüllendsten Berufsfelder, in dem sich gerade zum Glück auch sehr viel zum Positiven ändert, das man ergreifen kann. Es hat ein sehr geringes Sozialprestige, vor allem, was Service angeht und daran müssen wir arbeiten. Und deswegen brauchen wir laute Menschen, vor allem Frauen, die die Sonnenseiten dieser Branche, also die wirklich schönen und würdevollen Dinge, die einen mit Glück und Sinn erfüllen, ausstellen und zeigen.
Dein letztes Wort?
Gebenedeit sei die Sucht deines Weibes.
Dankeschön, Ilona.
Fotos, Text © Michaela Bauer
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.