Ein Abend im CODA (Berlin - Neukölln)
Ein Abend im CODA (Berlin - Neukölln)
Desserts mit umwerfender Getränkebegleitung.
Ich wäre dieser Tage gern etwas militanter. Deswegen Schluss jetzt! mit Halma spielen und hergelesen: ich werde hier dieses Mal nicht rumdiskutieren, auch niemanden überzeugen wollen oder erklären, warum 7 Dessert-Gänge und 4 Amuse Gueules absolut verhältnismäßig sind.
Die dreiköpfige Abendgesellschaft schlumpft durch die dunstig coronaverhangene Risikogebietsnacht. Vorbei an der geschwätzigen Unzufriedenheit der Wenn-du-Maske-trägst-sehe-ich-ja-dein-Lächeln-nicht-Trotteln. Um schlierige Erbrochenes-Spuren durch Neukölln tippelnd. Die beiden Menschen tragen edle Gewänder, das Tier einen zweifarbigen Onesie (aka Fell), alle haben sich hergerichtet. Das kleine Gastraum-Refugium aus Sichtbeton und Kupferleuchten, in dem die Welt uns nicht erreichen kann, heißt Coda und empfängt uns gut belüftet sowie mit maskiertem Abstand und unprätentiösem Anstand. Ein notwendiger und virusunfreundlicher Ruckzug ins Betonierte vor den wohlstandsverwahrlosten Befindlichkeiten der pandemiegeplagten Stadt.
Das zweifach besternte Dessert-Restaurant unter Anarcho-Patissier René Frank, der im Übrigen weder an Macarons noch an Industriezucker glaubt, widerlegt die Süßkram-These gleich zu Beginn mit der Premiumvariante der Saure-Apfel-Ringe-Kindheitsvorwerfbarkeiten, die eingekocht und mit Balsamico-Essig hochgejazzt in Form von Rote-Beete-Gummibärchen an den Tisch kommen. Das erste Grinsen geht auf’s Haus.
Die folgenden Apéros zerlegen besagte Desserts-müssen-süß-sein-Argumentation noch gnadenloser, indem sie als iranische Beef Cakes oder spanische Churros den Startschuss für den Süß-Salzig-Teufelskreis abfeuern. Besonders bemerkenswert in der Reihe: das Eiskonfekt, das zwar traditionell von selbst gemachter Schokolade ummantelt wird, aber mit getrocknetem Fisch kühn ins Herzhafte verdreht wird. Der Katsuobushi ist als Umami-Lieferant nicht wegdenkbarer Bestandteil der japanischen Küche und zaubert hier zusammen mit crunchiger Rotalge ein überraschendes Bacon-Aroma aus dem Hut.
Die beschürzten Service-Figuren übertreffen sich abwechselnd an freundlicher Gelassenheit gepairt mit akribisch ausgeführter Handgreiflichkeit: kein Wasser spritzt, kein Flaschenboden schubst den Türmchenbau aus Kamera, Aufnahmegerätschaft und Notizbuch in den betonierten Abgrund; wäre auch nachteilig, denn da ist das Tier geparkt, das mitgebracht werden durfte, um wenigstens irgendwas an Süßigkeit entgegensetzen zu können.
Es wird stets zu den Käsegängen munter und hofft über Gebühr darauf, dass etwas von dem französischen Hartkäse runterfallen möge, der über den Karottenkuchen gehobelt, als Käseschaum darunter platziert und in Form eines Käsechip auf einem unserer 8 Gänge drapiert wurde. Käse im Dessert fragt ebenfalls nicht nach Begründungsanforderungen, denn auch die süßspeisenhaft vertraut wirkenden Waffeln funktionieren mit Raclette-Käse-Geschmack und Jogurtdip mit Salz-Gurke-Pulver und setzen zwischen den süßeren Gängen einen überraschend rustikalen Zwischenton.
Hatte ich erwähnt, dass es zu jedem Gang eine „alkoholische Verlängerung“ gibt? Zugegeben ich hatte Respekt, dann allerdings Pascal vertraut. Er versicherte uns jünglingshaft mondän (wer auswendig gelernte Umgangsformen wünscht, kann ja ins Adlon gehen…), dass es sich lediglich um wohlportionierte Schlückchen handele, die jeden Gang unschuldig abrunden würden. Das stimmte auch noch beim Einstiegs-Aprikosencocktail mit gerösteten Koriandersamen, den es zur gelben Tomate gab. Die lag als Eisscheibe auf Kichererbsenmus und tauchte nochmals als getrockenete Variante in der Emulsion aus Olivenöl und Zitronensaft auf. Obenauf ein Kichererbsenmeringue für Optik und Konsistenz.
Die freundschaftlich moderate Alkoholbegleitung galt ebenfalls für den mit 10-jährigem Portwein infused Sake, der einige Teller später die auf Holzkohle gegrillte Feige mit Haselnusseis und somit die süßliche Rauchnote perfekt wieder aufnahm. Spätestens beim Menüabschluss schepperte uns allerdings der Lambrusco mit Kirschwein und einem Spritzer Whisky halb aus der überraschend bequemen Holzbestuhlung. Auch hier wurde wieder das Raucharoma des Gangs verlängert, denn der hauchdünne und mit Schokoladenmousse gefüllte Schokoladenwürfel wurde zuvor mit dem Tonkabohneneis und der gepufften karamellisierten Schweinehaut mit Pflaumenholz abgeräuchert. Die vornehmlich aus Lipidketten bestehende Komposition bekommt den gemütlichsten Platz in meiner Lieblings-Cellulitedelle!
Kurzum: zurück zu der taktvollen Ignoranz, die das Leben in Berlin „ja so herrlich entspannt“ sein lässt. Zwischendrin immer mal Ideen durchhakend, wie die Begleitung des nächsten Gangs als nicht-alkoholisch zu rechtfertigen wäre, ermahnt man sich dann doch, dass sich niemand der hiesigen Trinkordnung zu widersetzen hat. Ich sagte ja bereits, ich würde heute nicht diskutieren! Daher aß es sich weiter glühwangig durch den Abend, zum Beispiel mit einem Pekanusskuchen aus Wassermelone, die frisch im und um den Kuchen herum auffindbar war und als gedörrte Variante darunter ziemlichen Eindruck machte.
Das Eis von der Nori-Alge und die Olive sorgten für die Salzkomponente und erstaunten uns beinahe so nachhaltig wie der folgende und gleichsam favorisierte Gang:
Der Maispudding aus kandiertem Eigelb, das nur hauchzart gegart wurde und in uns Gier in ihrer entstelltesten Form entfachte, brachte sämige Maissüße auf einem befriedigenden Proteinteppich - eines dieser Gerichte, die optisch zunächst unterschätzt mit voller Wucht ins kulinarische Gedächtnis einschlagen und zusammen mit dem mit Riesling Auslese überschwemmten Sorbet des Muskatkürbis im Glas zur Aufhebung jedweder pandemischer Beschwerlichkeiten führte.
Und als wäre dieser Gunstbeweis nicht schon genug, werden wir zusätzlich mit einem weiteren Gang überrascht, der als Signature-Dish seit Restaurantstart im Jahr 2016 stets weiterentwickelt wird und sogar über eine eigene Visitenkarte verfügt. Imaginäre Fanfaren sickern aus den Lausprechern und lancieren die in Weißwein gegarte Aubergine, die von Pekanuss in Eisform bedeckt und als zusätzliches Küchlein ergänzt wird. Der Twist entsteht neben dem Lakritzsalz vor allem durch die erfrischenden Kügelchen aus Apfel-Balsamico-Reduktion, die im Abgang noch etwas säuerliche Süße hinterherwerfen. Dazu standesgemäß alkoholisierte Lustbarkeiten, die diesmal als harmloser Oolong-Tee getarnt, aber mit Sherry und Korianderschnaps aufgesprittet wurden und eindeutig das Getränk des Abends sind. What a Gang!
Zum Abschluss kommen Sous-Chefin Julia Leitner und ihre Einweckgläser sicher und geräuschlos auf einem Wägelchen an den Tisch gekullert mit einer Grazilität, wie sie nur in vornehme Körper eingeschrieben ist. Sie bringt uns bei, dass die kakaoummantelten Petite Fours so hell sind, weil unverarbeitetes Kakaopulver erwartungswidrig nicht dunkel erscheint, sondern oftmals gefärbt wird. Unter unseren Herzen wölben sich mittlerweile Murmelbäuchlein, aber Julias verzehrfertige Köstlichkeiten passen jetzt auch noch in die Figur. Wir hmmm-en vor uns hin, wähnen uns trotz düsterer Gegenwartsanalysen beinahe in prä-coronärer Utopie und fühlen uns souverän abgespeist von den sympathischen Nachtischhäuptlingen im Coda.
7 Desserts sind nicht eines zu viel. Da diskutier‘ ich auch nicht drüber!
CODA Dessert Dining
Friedelstraße 47
12047 Berlin
030 - 91 49 63 96
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Fotos, Text © Michaela Bauer