Der Zauberlehrling - Stuttgart
Der Zauberlehrling - Stuttgart
Wenn Gäste große Augen machen.
»Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen:
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!«
(2. Strophe aus Johann Wolfgang von Goethes' Ballade der Zauberlehrling, 1827)
Wer sich fragt, wie man auf die Idee kommen könnte, ein Designhotel nebst Gourmetrestaurant nach Goethes' Ballade Der Zauberlehrling zu benennen, der muss die Geschichte des Gebäudes mit dem Grundmotiv jenes Werkes verknüpfen, nämlich die Belebung eines Besens.
Eben das taten Axel Heldmann und seine Frau Karen im Jahre 1993, als sie im Herzen Stuttgarts die Gaststätte Der Besen unter neuem Namen eröffneten.
Lyrischer Feinsinn und gehobene Küche könnte man ja durchaus auch als metaphorische Verbündete im weiteren Sinne betrachten. Und ein gutes Essen kann ja schließlich auch als Gedicht beschrieben werden.
Die Heldmanns erschufen eine der hipsten Adressen in Stuttgart mit elegant designten Zimmern, einer Kochschule und einem Gourmetrestaurant. Mehrere regionale Spitzenköche wie Bernd Bachofer kochten neben Axel Heldmann und machten das Restaurant und seinen ungewöhnlichen Namen zu einer Institution in Stuttgarts Innenstadt.
Seit Ende 2016 steht Sohn Fabian (32) am Herd. Damals 29 Jahre und eine Vita mit Stationen in mehreren 3-Sterne-Häusern, wie sie kaum eindrucksvoller sein könnte, im Gepäck. Philipp Kortyka ist sein Sous-Chef und Chef-Patissier. Beide lernten sich bei Christian Jürgens kennen. Sehr viel vielversprechender kann eine Doppelspitze in der Küche wohl kaum sein. Und umso größer ist unsere Vorfreude auf das heutige Abendessen.
Unweit des Stuttgarter Rotlicht- und Vergnügungsviertels, reiht sich Der Zauberlehrling mit seiner ziegelroten Fassade und einprägsamen, goldenem Schriftzug unauffällig in die Fassaden einer ruhigen Seitenstraße ein. Kleine, schnuckelige Ladengeschäfte und urige Weinstuben sorgen für einen charmanten Kontrast zur urbanen Rastlosigkeit und kühlen das Gemüt schon vor dem Betreten angenehm ab.
Im Inneren weht einem eine gekonnte und geschmackvolle Mischung aus zeitgemäßem Design und zeitlosen Elementen entgegen. Auf der Toilette werden Edgar Wallace-Klassiker gezeigt, was irgendwie kauzig wirkt, aber auch gleichzeitig zeigt, dass man alles exakt und liebenswert arrangiert, wie man es sich vorstellt - eigenständig und ohne Klischees zu bedienen.
Der Gastraum ist einladend, elegant und schnuckelig. Beigetöne mit lila Akzenten bestimmen geschmackvoll die Optik und die lederbezogenen Stühle mit Seitenlehne sind maximal bequem. Auch der Service reiht sich farblich in dieses Muster ein. Natürlich wartet auf uns heute die Große Zauberreise in sieben Gängen (€ 140,--).
Etwas Zaubertrank, der Aperitif des Hauses, welcher im Wesentlichen aus Verjus, diversen Kräutern und Gin besteht, wird am Tisch mit dem Haussekt aufgegossen und blubbert schön vor sich hin. Der Signature-Drink des Hauses überzeugt schon einmal durch seinen feinsäuerlich herben Geschmack. Passend hierzu werden einige Apéros gereicht.
Ein Rettich-Takko, welches mit einem Garnelen-Tartar gefüllt ist, überzeugt schon einmal mit feinem Aromenspiel und ausgeprägter Zitrusnote. Elegant und lecker.
Ebenfalls gut gelungen ist der zweite Snack, ein feines, gerolltes Kräuterflädle (eine Art Crêpe) mit Walnuss und Grapefruit. Eventuell einen Hauch zu süß und zu massig, jedoch lecker und unkonventionell allemal.
Zarenhaft geht es weiter. Der Blini wurde durch Pumpernickel ersetzt und mit einer Crème fraîche-Sphäre und Beluga-Kaviar kombiniert. Sehr lecker und kurzweilig.
Beim darauffolgenden Miniatur-Burger ist das zuvor sehr schön demonstrierte Aromenhandwerk leider nicht ganz so ausgefeilt. Auch wenn Schweinebäckchen vom regionalen iberischen Schwein (Stauferico) sicherlich Genuss versprechen, ist der Fingersnack insgesamt zu sauer, was an der darauf befindlichen Salsa liegen dürfte. Auch die Textur ist gänzlich zu weich und schreit nach etwas Crunch und Knack. Die mit Crème fraîche betupften Süßkartoffel-Pommes sind zwar schön gearbeitet und sind konzeptionell originell, kulinarisch jedoch eher indifferent. Vielleicht sollte man hier noch etwas optimieren.
Das eigentliche Amuse Bouche ist eine kleine Hommage an Heldmanns‘ früheren Lehrmeister Christian Bau. Mit leicht gebeizter Buttermakrele, Gurkentexturen und Ponzu zeigt die Küche, wie gut sie ihr Handwerk beherrscht. Alles ist sehr präzise gearbeitet und auch der feine Fisch ist von immens guter Qualität. Lediglich bei der Komposition und den Proportionen kann das Gericht nicht mit Bau mithalten, da die Buttermakrele geradezu von den anderen Zubereitungen und der, zu beherzt verwendete Säure, aromatisch in Gefangenschaft genommen wird. Das exzellente Gurkeneis ist leider deutlich überproportioniert. Trotzdem ein guter Teller mit handwerklichem Ausrufezeichen. Hinzu kommt noch ein à Part servierter Krabbenchip mit einem fein abgeschmeckten Pulposalat. Sehr fein.
Eine Petitesse gibt es noch, bevor wir offiziell ins Menü starten, nämlich ein Schälchen mit einer Variation aus Aubergine mit Ras el-Hanout, Cashewkernen, Joghurt und Raucharomen. Absolut stimmig und hervorragend umgesetzt. Jetzt freuen wir uns umso mehr auf das sieben gängige Menü.
Eine schöne Tranche leicht gebeizter Glen Douglas Lachs aus Schottland eröffnet das Menü. Als Podest dient hierbei ein Quinoa-Bohnen-Salat. Vollendung am Tisch erfährt das Gericht durch einen Gewürztomatensud mit fein eingearbeiteten Korianderöl - so viel zur Komposition des Gerichts. Geschmacklich fehlt dem Gericht leider etwas die Mitte. Obwohl der Gewürztomatensud für sich hervorragend abgeschmeckt ist, fremdelt er doch etwas mit dem Lachs, indem er ihn durch seine umamireiche Wucht kaum zu Wort kommen lässt. Wenn man das weiß, lässt man einfach den Lachs mit dem schön leichten Salat für sich stehen und ditscht den Sud im Nachhinein mit etwas Brot auf. Das ist zwar nicht im Sinne des Erfinders, aber dennoch unheimlich lecker und kein Grund trübsinnig zu werden - im Gegenteil.
À Part serviert die Küche noch ein Cornet mit exzellenten abgeschmecktem Lachstartar, Lachsrogen, etwas Avocadocreme und einer dezenten Rauchfischcreme. Wunderbar gearbeitet und sehr lecker.
Längst nicht so zugänglich, dafür umso interessanter, ist der nächste Gang: Eine sehr subtile Fusion aus nordischer mit äquatorialer Küche. Die perfekt gebratene, handgetauchte Jakobsmuschel wird mitsamt ihres Corails auf einer Art rote Beete Tartar mit knackigen Kürbiskernen präsentiert und mit einer Art Kokos-Beurre Blanc am Tisch angegossen. Sehr leise und beinahe zu subtil bringt sich die Kokosnuss ein, was der Erdigkeit der roten Beete mehr Präsenz gibt. Insgesamt ein schöner Gang, welcher eher leise die Triangel anklingen lässt, als laut auf die Pauke zu hauen. Gut gelungen und Jakobsmuschel mal etwas anders.
Wie gut Fabian Heldmann uns sein Team kombinieren können, beweisen sie eindrucksvoll beim nächsten Gang. Mit Blumenkohl von den Fildern (eine Region bei Stuttgart), säuerlicher Pflaume, Nussbutter und Tonkabohne gelingt der Küche nämlich ein fabelhafter, vegetarischer Gang. Die gefällige, schwere Kombination aus gerösteter Butter und Blumenkohlröschen wird mit der lebendigen Säure der Pflaume äußerst geschickt entgegengewirkt. Sponge-Stücke aus Tonkabohne und Kakao sind überhaupt nicht süß und erzeugen eine wunderbare Spannung auf dem Teller. Perfekte Proportionen und wunderbar balanciert, ohne Zweifel der überzeugendste Gang des Menüs bisher.
Der Idee, einen offiziellen Menügang als Fingerfood zu servieren, sind wir bisher kaum begegnet. Pfiffig ist sie allemal. So präsentiert uns die Küche als nächstes einen Bambusdämpfer, in welchem sich 2 grüne Pakete befinden. Hierbei handelt es sich um Winterkabeljau (Skrei), welcher mi Szechuanpfeffer in einem Shisoblatt mit etwas Tempurateig frittiert wurde und anschließend noch etwas mit Zitronengel betupft wurde. Das schmeckt wunderbar und saftig, ist jedoch fast etwas zu heiß für den Gaumen. Beim zweiten Paket warten wir deshalb lieber etwas. Nichtsdestotrotz wunderbar.
Bevor es in den Hauptgang übergeht, wird noch etwas in die Zauberkiste gegriffen und mit allerlei Effekthascherei ein Papillenreiniger serviert. Im Trockeneisnebel befindet sich eine halbierte Mandarine, welche mit einem Mandarinen-Safran-Sorbet gefüllt wurde. Der kleine Einschub ist wunderbar gelungen und belebt den Daumen mit schöner Säure und feinen Bitternoten.
Mit etwas weniger Spieltrieb geht es dann beim Hauptgang zur Sache. US-Wagyu in zwei Varianten (Rücken und geschmorte, glasierte Backe), wilder Broccoli, eine Jus und ein Klecks Süßkartoffelpüree und alles heiß und auf den Punkt. Toller Hauptgang mit präzisem Handwerk. Die Zugabe einer feinen, hintergründigen Zimtnote zum Süßkartoffelpüree wirkt fabelhaft harmonisierend und verhilft dem eindimensionalen Geschmack der Süßkartoffel zu einem komplexeren Geschmacksbild ohne unzugänglich zu werden. Auch die angegossene Jus mit feiner BBQ-Note ist über jeden Zweifel erhaben und vollendet einen wunderbar unaufgeregten Hauptgang. Stark!
Mit etwas Edelschimmelkäse aus der Auvergne als Protagonist im Käsegang geht es weiter. Der milde Käse liegt als Creme auf einer Estrade aus Birne, Radicchio und ausgelassenem Speck. Süffig, voller Umami und Futter für die Seele (als ob wir das an dieser Stelle des Menüs noch nötig hätten). In jedem Fall ausgezeichnet.
Bei der prächtigen Käseauswahl (veredelt von Affineur Tourette) vom Brett müssen wir bedauerlicherweise, aufgrund des fortgeschrittenen Sättigungsgefühls, abwinken. Leider gibt es diese Form des Käsebuffets immer seltener.
Die Patisserie um Sous Chef und Chef-Patissier Philipp Kortyka steigt direkt mit einer schönen Kreation ein. Ein Rüblikuchen mit Pekannüssen, welcher von einer feiner Orangen-Passionsfrucht-Honig-Marinade und einem Karamell-Calvados-Espuma umsäumt wird. Getoppt wird das Pre-Dessert noch von einem Tonkabohnen-Kakao-Sand. Das sind viele Aromen auf einmal, welche sich wunderbar komplementär auf kleinstem Raum ergänzen. Sehr schön.
Noch etwas mehr begeistert uns das Hauptdessert, welches (salopp ausgedrückt) mit einem sensationellen Johannisbeer-Veilchen-Eis auf einem hervorragenden Schokoladentörtchen und Blaubeere aufwartet. Säuerlich, floral und tief befriedigend schokoladig - mehr braucht es nicht, um das Menü beeindruckend abzuschließen. Wunderschön einfach und einfach wunderschön.
Auch die feinen Mignardises am Schluss sind mehr als überzeugend und beenden eine niveauvolle Zauberreise mit tollem Service und herzlichen Gastgebern. Axel Heldmann riss uns als leidenschaftlicher Vollblut-Gastgeber mit seiner herzlich, sympathischen Art förmlich mit. Daneben versprühte Restaurantleiter Daniel Masurczak lockeren Charme und sorgte für viele kurzweiligen Unterhaltungen und Späße. Das Restaurant war heute (unter der Woche) gut besucht, was uns immer besonders freut und alles andere als selbstverständlich ist. Das Vergnügen war voll und ganz auf unserer Seite. Ein Hoch auf die Zaubermeister!
Die Getränkebegleitung
Auch die Weinbegleitung wurde mit viel Liebe ausgesucht und präsentiert. Die besondere Empfehlung durch Axel Heldmann zum Hauptgang war eine Offenbarung.
Aperitif: |
Zaubertrank |
1. Gang: Lachs |
Weingut Bernhard Ellwanger, Weißburgunder, Württemberg, 2017 |
2. Gang: Jakobsmuschel |
Winzerhof Harald Geißendörfer, Blauer Silvaner, Franken, 2018 |
3. Gang: Blumenkohl |
Schlossweingut, Malteser Ritterorden, Grüner Veltliner, Niederösterreich, 2015 |
4. Gang: Skrei |
Weingut Schnaitmann, Grau.Weiss Cuvée, Württemberg, 2016 |
5. Gang: Wagyu |
Ridge Vineyards, Monte Bello, Carbernet Sauvignon, California, 1993 |
6. Gang: Fourme d'Ambert |
Pieve Vecchia, Bianco Veronese, Venetien, 2016 |
7. Gang: Cassis, Schokolade, Veilchen |
Weingut Abril, Muskateller & Muscaris, Kaiserstuhl, 2018 |
Das Team
und unser Fazit:
Heldmanns' Zauberküche bringt kurzweilige, aufwendige Kreationen mit beeindruckend präzisem Handwerk hervor. Wenn jetzt noch hier und da ein wenig an Proportionen und Komposition gefeilt wird, ist dem sympathischen Restaurant nahe Stuttgarts Vergnügungsviertel alles zuzutrauen.
Text, Fotos © les-etoiles.de