Im Cœur d’Artichaut in Münster
Im Cœur d’Artichaut in Münster
Ein Gasterlebnis endet nicht am Tellerrand.
Coronabedingt waren unsere („uns“ sind zwei gut befreundete Feinschmecker, mit denen ich regelmäßig die kulinarische Szene erkunde) diesjährigen Restaurantbesuche vergleichsweise überschaubar. Trotz des obligatorischen Mundschutzes beim Betreten des Restaurants hatten wir aber endlich mal wieder eines ins Auge gefasst. An einem Mittwochabend waren wir im Cœur d’Artichaut, nicht im Herzen der Artischocke, dafür im Herzen Münsters, nahe der Lambertikirche.
Das Restaurant ist schlicht und sehr geschmackvoll eingerichtet. Mobiliar, Böden und blanke Tische in Brauntönen, sanftes Vanillegelb an den Wänden, samtig bezogene kleine Sitzbänke und Kissen in dunklem Grün auf den Stühlen ergeben ein harmonisches Gesamtbild. Ein wirklich aufmerksamer Service begleitete durch den Abend. Es gab keine strenge Zuordnung, vielmehr hatte jeder der Damen und Herren einen Blick auf unseren Tisch, damit es an nichts fehlte. Mein Platz auf einer der Bänke war genial gewählt, ging mein Blick doch ungehindert in die offene Küche, die an einer Seite noch von einer integrierten Bar begrenzt wird.
So wusste ich oftmals schon ein paar Sekunden vor meinen Freunden: „Es geht weiter“ und konnte die Vorfreude einen Moment länger auskosten. Dass diese Vorfreude berechtigt war, zog sich durch den gesamten kulinarischen Abend. Wir wählten alle drei das 8-Gang-Menü, mit 135,- € nicht eben bescheiden kalkuliert, aber es war tatsächlich jeden Euro wert.
Das lag nicht nur an einem „Begrüßungsshot“ – gekühlte Tomatenessenz mit Topinambur – ...
… gleich zwei exzellenten Küchengrüßen (einer war eine liebevolle Reminiszenz an einen Croque Monsieur, ...
... der andere ein Röllchen im Kräutermantel mit Lachskaviar)
... und dreierlei frisch gebackenen Brotsorten mit einem leichten Quark à la Grüne Sauce.
Auch jeder weitere Gang war optisch wunderschön anzusehen, die Annoncierung überforderte manchmal angesichts der Detailfülle, wohingegen jedes Gericht sich dennoch nur auf sehr wenige Hauptkomponenten beschränkte. Das filigrane Beiwerk zur bretonischen Makrele waren Kräuter, Blüten, Gurke und ein kühles Merretticheis mit perfektem Schmelz.
Dem Kaisergranat, der von hervorragender Qualität war, gaben dem angeschmorten Spitzkohl und der Grapefruit ein raffiniertes Röstaroma einerseits und frische Spritzigkeit andererseits.
Danach folgten die in meinen Augen besten Gänge: Die handgeschöpfte Jakobsmuschel mit Jus, angeröstetem Blumenkohl und Alge und ...
... anschließend Ossietra Kaviar an einer leichten Kartoffelcreme mit blanchierten Kartoffelschleifen.
Die zweite Hälfte des Menüs stand der ersten qualitativ in nichts nach, allenfalls erschien mir der eigentliche Hauptgang mit einem exzellenten Medaillon vom Salzwiesenlamm nicht ganz so kreativ wie die anderen Gänge innerhalb der Menüfolge.
Der kräftige Epoisses Käse mit zartem Schmelz und Trompetenpilzen bekam durch Mirabellenhälften eine angenehm kontrastierende fruchtige Note.
Dem eigentlichen Dessert, eine an Schwarzwälder Kirschtorte erinnernde Zusammenstellung von dunkler Ganache, Baisercrumble und eingelegten Kirschen ,...
folgten mit einem doppelten „Epilog“ noch eine herrlich fluffig, frische Creme mit Beeren und ein kleines, noch warmes Törtchen.
Die Getränkebegleitung beschränkte sich nicht nur auf exzellente Weine, sondern bot vom bretonischen Bier über Champagner, einen Mirabelle Sour bis zu einem Cocktail von Bergamotte und Earl Grey Tee eine feine, zwischendurch auch alkoholfreie Abfolge, die genial zu jedem Gang passte.
Wo so viel Licht ist, ist leider immer auch Schatten. Der bezog sich allerdings in keiner Weise auf die Speisen, die der gebürtige Franzose Frédéric Morel in so staunenswerter Komposition und Darbietung für dieses August-Menü ausgetüftelt hatte, sondern war eher äußerlicher Natur. Nach dem vierten Gang ließ sich ein seltsamer zeitlicher Bruch vermerken, denn ab da wurden die bis dahin perfekt getakteten Pausen zwischen den Gängen deutlich länger, für meinen Geschmack klar zu lang. Wir waren fast als erste um 18:30 Uhr eingetroffen und beendeten den Besuch um 23:30 Uhr als nahezu letzte. Sicherlich waren die Pausen auch der Tatsache geschuldet, dass – an einem Mittwochabend in der NRW-Ferienzeit durchaus bemerkenswert – alle Tische besetzt waren und natürlich nicht jeder Gast das komplette Menü bestellt hatte. Da könnte man an der Abfolge aber sicher noch etwas schrauben.
Was mich persönlich allerdings noch deutlich mehr störte als die sportliche Länge des Menüs, war der Beginn der Reinigungstätigkeiten in der Küche. Dass da ab etwa 22:30 mit dem Abwischen der Herde und Flächen begonnen wurde, ist so weit noch problemlos. Als aber plötzlich ein junger Mann – und ich schaute direkt in den Gang zur Küche – zwei Eimer Wasser auf dem Boden auskippte und das anschließend mit einem Gummilecker abflitschte, fand ich den Kontrast der wässrigen braunen Brühe und dem bis dahin so lässigen, kulinarisch hinreißenden Abend doch arg heftig. Wäre man bei Freunden zu Besuch und die begännen noch vor der Nachspeise damit, ihren Küchenboden zu wischen, würde das wohl jeder von uns als dezente Aufforderung sehen, doch endlich zu gehen. Der Vorteil einer Showküche ist fraglos die Transparenz aller Handlungen, aber mit manchen sollte man einfach warten, bis sich zumindest die Gäste in der direkten Sichtachse verabschiedet haben.
Von meinen zwei Kritikpunkten kosmetischer Art abgesehen, war der Abend im Cœur d’Artichaut ein herrlich unverkrampftes kulinarisches Erlebnis mit Speisen, die in Auswahl, Zusammenstellung und gekonnter Umsetzung erinnerungswürdig waren. Zum harmonischen Ganzen trug der präsente und doch unaufdringliche Service erheblich bei. Endlich hat Münster eine Küche, die so innovativ, kunstvoll und spannend ist, dass ein weiterer Besuch (wie von den Gästen am Nebentisch bereits angekündigt) mehr als lohnenswert ist. Wofür im Übrigen auch der monatliche Wechsel des Menüs spricht.
Coeur D'Artichaut
Alter Fischmarkt 11a
48143 Münster
Telefon: +49 (0) 251-39 58 28 23