BRICOLE Berlin - Prenzlauer Berg
BRICOLE Berlin - Prenzlauer Berg
Über Fahrradwimpel, Brigitte Bardot, Portweinflecken... Fine-Dining sowieso.
„Ganz hübsch, die kleine Schenke!“ denke ich, als ich vor dem Bricole auf meine Begleitung und darauf warte, dass mich doch noch ein Model-Agent für Kinderbekleidung entdeckt. Beim Versuch mich possierlich in Szene zu drapieren, werde ich allerdings Opfer dieser Wimpel-Fähnchen an den Fahrrädern der vorbeieiernden Prenzlauer-Berg-Kinder, die mir mit ihrer Wedel-Amplitude von 1,5 Metern und reißfester LKW-Plane ins Gesicht klatschen. Ich beschließe doch einzutreten.
Rechts prostet mir Brigitte Bardot charmant zu, daneben eine sexy Lampe aus dem Palast der Republik. Links gestapelte weiß lackierte Holzbohlen, darüber säuberlich aufgereihte Weinflaschen. Schnieke. Hier kann ich meine Wunden verarzten.
Als Starter gibt es Brot mit außergewöhnlichem Fluffigkeitsfaktor, auf das wir zentimeterdick die angereichte Karamellbutter mit geröstetem Sesam streichen. Dazu begleitet uns ein alkoholfreier Aperitif in Form einer unschuldigen Gin-Tonic-Variante geduldig zur Vorspeise.
Der erste Gang ist pures Instagram-Gold. Der einzige Unterschied: Der Teller glänzt nicht in narzisstischer Abwesenheit von Inhalt, sondern lässt einen an seiner Komplexität genesen. Ein schmelziges Parfait aus nussiger Entenleber plätschert zusammen mit einem gebackenen Tramezzini und gehaltvollem Birnen-Thymian-Eis im fruchtig-sauren Cassis-Estragon-Sud, der nicht intensiver sein dürfte. Um die unerbittliche Hauptgangdichte abzukanten, wird Belper Knolle – ein Schweizer Hartkäse - on top gehobelt. Abgestopft und zwangsvergrinst lehne ich mich zurück und hechele: „Leute, das war doch erst eine Vorspeise!“. Da das Gericht den ersten Tag auf der Karte war, wird die Portionsgröße angepasst – alle, die nach uns kommen, werden also mit reduziertem Hauptgangsselbstbewusstsein konfrontiert. Geschmacklich zeichnet sich ab: Wer’s krachend mag, ist im Bricole richtig. Gestartet als Vorspeisenbar hat sich das Konzept seit 2017 radikal weiterentwickelt, keine Amuses oder Pralinen, dafür aber knallende Vollmundigkeit durch-gängig!
Nachdem andere seine Eigenschaften zu fördern und er sie zu nutzen wusste, dauerte es von der Idee bis zur Eröffnung nur 6 Monate für Fabian Fischer - ohne einschlägige Ausbildung, jedoch mit Borchardt – und Grosz-Background -, um sein tiefendemokratisches Restaurant zu eröffnen. Menschen und Essen werden hier nämlich gleichrangig behandelt, so heißt es auf der Website und tatsächlich gibt es kein durchdekliniertes Menü. Das Bricole bietet 3 Kombinationsvorschläge (darunter ein vegetarischer), die von den Gästen 3- bis 5-gängig hemmungslos miteinander verdongelt werden können.
Im Gegensatz zur Vorspeise erreichen uns Hauptgang und Dessert perfekt proportioniert. Der Hauptgang erschien in der Harmonie vorhersehbar. Ich war gespannt, was Küchenchef Steven Zeidler aus eher blassen Aromen von Gurke und Lachs herausholt. Der angebeizte Ikarimi-Lachs mit cremig-eingedicktem Zitronen-Gurkensud und die gebackene Zucchini mit crunchiger Senfsaat überraschen durch eine unerwartete Umami-Verdichtung. Die eher klassische Kreation zeigt sich zwar produktfokussiert, aber bespielt durch die reduced-to-the-max-Variante eine eigene Liga. Während der Hauptgang sehr befriedigend, aber in seiner Tiefe nach einem Löffel erschmeckt war, zeigt sich die Belastungsprobe Dessert etwas aufregender.
Mit einer Texturvielfalt von cremig bis crunchig wird die Valrhona-Schokolade von Zeidler gnadenlos auseinandergenommen. Besonderen Erinnerungswert hat das Tryptichon aus cremigem Mousse, knackigen Biskuits und hauchzartem Gel, das von Brombeeren und mit weißer Schokolade ausgebackenem Quinoa flankiert wird. Der kleinteilige Aufbau schmälert hierbei keinesfalls die Qualität eines schokoladigen Harmoniebömbchens. Very eatable.
Zum Dessert empfiehlt Fabian den 2013er Portwein von Graham’s, der beharrlich zur Gefäßerweiterung bei simultaner Wahrnehmungs-Verengung beiträgt. Das Trinkernäschen vernimmt Schokolade und Cherry, was die Valrhona stimmig ergänzt. Meine Mitesserin brütet aktuell neues Leben in ihrem Leib aus und lächelt tapfer über ihrer alkoholfreien Dessertbegleitung. Sie schielt wiederholt auf die Portwein-Flasche und brubbelt irgendwas von „Du wirst im Übrigen schon mit Erbschuld geboren, Freundchen!“ Richtung Baby-Bauch. Bei mir setzt derweil erleichternde Versumpfung ein. Entrückten Gesichtsausdrucks schiele auch ich wiederholt auf die Graham‘s-Flasche, bis Fabian empathisch fragt, ob ich sie mitnehmen mag. Höfliche Abwinkbewegung meinerseits - ich bin schließlich sehr gut erzogen, ärgere mich auf dem Heimweg dennoch, dass ich sie nicht doch zur Verteidigung vor Fahrradwimpel-Kindern angenommen habe. Was denken Sie denn von mir? Selbstverständlich hätte ich den Inhalt vorher ausgetrunken, Portwein-Flecken lassen sich schlecht aus Fahrradwimpeln entfernen.
Bricole
Senefelder Straße 30
10437 Berlin
Michaela Bauer ist freie Autorin. Auf ihrem Blog Geschmackssinniges berichtet sie über kulinarische Auffälligkeiten, verfasst unkonventionelle Restaurantkritiken und stellt freche Fragen.
Fotos, Text © Michaela Bauer