Zu Gast im Restaurant Bareiss
Zu Gast im Restaurant Bareiss
Konstanz und Kontinuität
Konstanz und Kontinuität sind Attribute, welche gerade heutzutage immer rarer scheinen. Gerade im Gastgewerbe haben es viele Betriebe derzeit besonders schwer diese Eigenschaften zu erfüllen. Wir selbst, als leidenschaftliche Restaurant-Gänger, sind regelmäßig Zeuge dieser Entwicklung - auch wenn diese sicher sehr häufig unverschuldet und pandemiebedingt eingetreten ist. Frei nach dem juristischen Grundsatz "Testis non es iudicare" schildern wir jedoch lediglich Beobachtungen.
Umso erfreulicher, dass es noch Felsen, ja sogar wahrhaftige Berge in dieser Landschaft gibt, welche breitschultrig den schwierige Gezeiten zu trotzen scheinen und eine faszinierende Stetigkeit vermitteln, welche uns allen Hoffnung geben sollte. Nach fast genau zwei Jahren haben wir eines der Paradebeispiele in Deutschlands Gastrokultur wieder besucht: das seit 2007 mit 3 Sternen dekorierte Restaurant Bareiss.
Dass das Restaurant Bareiss im gleichnamigen *****S-Hotel im idyllischem Baiersbronn-Mitteltal ein Solitär in Deutschlands Gastronomie-Szene ist, lässt sich ganz einfach und anhand von nackten Zahlen erörtern. Das Restaurant eröffnete in seiner jetzigen Form im Jahre 1982, Claus-Peter Lumpp übernahm die Küchenleitung 1992, Maître Thomas Brandt stieß wenige später dazu und Chef-Patissier Stefan Leitner vor rund 20 Jahren. In Jahren bzw. Betriebszugehörigkeit zusammengefasst: 40, 30, 27,20, und einmalig in Deutschland. Ebenso ereilte das Restaurant kein kometenhafter Aufstieg, sondern eine kontinuierliche und organische Entwicklung, welches in einem 15 Jahre andauernden Prozess, im Jahr 2007, zum 3. Stern führte. Wir hatten bereits vor 2 Jahren (Bericht) ausführlich darüber berichtet.
Die Beibehaltung von Traditionen geschieht hier aus tiefster Überzeugung und genau das versprüht etwas unverwechselbar Unaufgeregtes und Verlässliches. Vor der schweren Tür des Restaurant-Eingangs ereilt uns auch immer eine gewisse Ehrfurcht, unterlegt von dem fantastischen Gefühl - nein sogar der Gewissheit - dass die nun folgenden Stunden grandios werden.
Beim Betreten des barocken Gastraums mit dem opulenten Blumen-Arrangement, silbernen, ausladenden Weinkühlern und dem vertrauten royal-blauen Teppichboden begibt man sich direkt in die herzliche Begrüßung und einen netten Plausch mit Restaurantleiter und Maître Thomas Brandt, welcher bereits seit 27 Jahren mit großem Charme und unaufdringlicher Professionalität den Gast maximal angenehm eincheckt.
Sommelier Teoman Mezda (Sommelier des Jahre im Großen Guide 2022) übernimmt direkt danach und wie immer höchst sympathisch und charismatisch die Getränkeberatung.
Wir sind tiefenentspannt. Im Glas blubbert der 2015er Jahrgangschampagner von Louis Roederer (Rosé).
Die Menükarte spiegelt ebenso die Großzügigkeit wider und bietet eine tolle Auswahl an à la carte-Gerichten zur individuellen Menü-Zusammenstellung, ein vollständig vegetarisches Menü, das große Degustationsmenü (8 Gänge / € 265,--) und – an diesem Mittag – ein kleineres 3-Gang Mittagsmenü (€ 165,--).
Trotz der sehr bekannten à la carte Ausführung von Lumpps-Gerichten, wählen wir das große Menü, um einen möglichst großen und abwechslungsreichen Querschnitt durch die Küche zu bekommen, und lehnen uns entspannt zurück.
Los geht es - wie immer - auf der ,bereits zur gastronomischen Ikone gewordenen, polierten Silber-Etagère mit vier minutiös zubereiteten Fingersnacks:
Neben einem hervorragendem Miniatur-Stück Basilikum-Tomaten-Tarte, befindet sich eine Etage darunter die, bereits zur Tradition gewordene, Sushi-Reis-Rolle mit Curry-Füllung, welche mit feiner Kaffir-Limette-Ingwer-Note am Gaumen nachhallt.
Auch die Rindertarar-Praline auf Foccacia mit einem Tupfen Senf Mayonnaise wurde auf Idealgeschmack getrimmt und ist eine wahre Freude. Genauso wie der geräucherte Aal, welcher leichtfüßig mit Mango und Passionsfrucht kombiniert wurde. Die exakte, filigrane Ausführung der kleinen Meisterwerke ist jedes Mal aufs Neue verblüffend. Ganz Großes Kino!
Auf dem Fuße folgt das kalte Amuse Bouche in Form eines Feta-Mousses, welches wunderbar zwischen Cremigkeit und einer gewissen Luftigkeit changiert, und mit etwas Honig und Olive, zwei schön ergänzende Mitspieler zur Seite bekommen hat. Hinzu kommt ein à Part gereichtes frisches und cremiges Frischkäse-Eis mit Oliven-Tapenade. Das ist erfrischend, lecker und richtig gut.
Beim warmen Küchengruß wird es dann schon merklich intensiver. Hier bekommen wir es mit einem Türmchen aus einer Guacamole, gebratenem Schwarzfederhuhn und einem Buchweizenchip zu tun, welches von einer fruchtig-säuerlichen Mango-Sauce umgeben ist. Auch wenn sich diese Kreation beinahe profan anhört, so ist die Umsetzung sensationell. Denn die Herzhaftigkeit des Schwarzfederhuhns wird wunderbar von der Frische der stückigen Guacamole getragen und durch die exotische Frische und Säure der Mango ergänzt. Toll ausbalancierter und erfrischender Exkurs.
Wir starten ins Menü mit einer der Paradedisziplinen von Claus-Peter Lumpp: Gänseleber. Kaum zuvor hatten wir dieses Thema so klassisch und spannend zugleich auf dem Teller. Auch heute. Lumpp wählt für die meisterhaft hergestellte Terrine mit Portwein-Haube eine Entourage aus Kirsche, Haselnuss und Thymian. Von der Gänseleber-Crème Brûlée, über das Gänseleber-Panna Cotta, welches mit einem kühlen Kirsch-Granitée nappiert wurde, bis hin zur wunderbar üppig und schmelzigen Haselnuss-Creme: Da kann man schon mal ins Schwärmen geraten. Weltklasse!
Mit roh mariniertem, lauwarmen Kingfish wird die Speisenfolge fortgeführt. Sommerlich frisch kombiniert die Küche diesen mit provenzalischer Mandelcreme, einer Art Tomaten-Beurre Blanc (weiße Tomatensauce), Passe Pierre, Tomatensegmenten und Basilikum-Öl. Der feine feste Fisch kann sich trotz der umamireichen Mitspieler wunderbar behaupten. Das ist wahrscheinlich einer der elegantesten Kombinationen aus Tomate und Basilikum, welche wir jemals hatten. Schlozig, buttrig und in einer faszinierenden Balance. Wunderbar!
Auf Fisch folgt Fisch. Diesmal erwartet uns eine schneeweisse, in Olivenöl konfierte Tranche Kabeljau von fabulöser Qualität. Hinzu kommen butterzarte Pulpostücke, geräucherte Paprika-Schleifen, Artischokenpüree und ein herrlich leichter (emulgierter) Pulposud, welcher sich leise und doch charaktervoll einbringt. Der feine, milde Fisch kann mühelos im Ensemble mithalten und wird nur gelegentlich von der intensiven, rauchigen Paprika und leichten Bitternoten der Artischocke gefordert. Das ist so unaufgeregt, wie eine leichte Brise am Mittelmeer, mediterrane Zeitlosigkeit und gleichzeitig eine tolle Demonstration, dass Klassik auch ohne intensiv reduzierte Fonds, Butter oder Sahne auskommt. Große Klasse!
Beinahe unorthodox und sicherlich auch den sommerlich heißen Temperaturen geschuldet fällt der Zwischengang leicht und vegetabil aus. Hierzu präsentiert die Küche eine gefüllte Zucchini-Blüte auf Taboulé, umgeben von Tandoori-Joghurt. Im Wissen was noch kommen wird, sicher eine gelungene Idee. Unkompliziert, leicht und saulecker.
Zu unserer großen Freude, war auch die heimische Reh-Jagd wieder erfolgreich. Und auch heute ist das in Perfektion gegarte (einmal kurz „in Wildaromen“ gebraten und einmal in Spätburgunder pochiert) Fleisch wieder von Referenzqualität. Demzufolge nimmt auch die Entourage eine eher untergeordnete Rolle ein und besteht lediglich aus etwas wildem Brokkoli und handselektierten Pfifferlingen und einer zum Niederknien guten Reh-Jus. Auf dem Satelliten-Teller wird die pochierte Reh-Nuss von einem säuerlichen Selleriesalat und einer Preiselbeer-Vinaigrette flankiert. Das Holunderblüten-Raviolo ist (wie schon beim letzten Besuch) das i-Tüpfelchen, welches fruchtig-süß im Mund aufplatzt. Besser kann man dem Thema Reh kulinarisch wohl nicht begegnen, allerhöchstens anders. Weltklasse!
Und da rollt er wieder an, der wohl beeindruckendste Käsewagen der Republik, welcher beinahe schon einen Bildungsauftrag innehat. Von Appenzeller bis White Stilton, von Kuh, über Schaf zur Ziege und das natürlich in allen Intensitätsgraden. Bei so viel Auswahl lassen wir uns gerne eine Auswahl zusammenstellen. Unnötig zu erwähnen, dass auch die Auswahl an Brot und Condiments seines gleichen sucht. Für uns Käseliebhaber ist es der Himmel.
Und das Beste kommt ja erst noch. Stefan Leitner eröffnet den süßen Teil des Menüs mit einem fabulösen Quintett an süßen Kleinkunstwerken, welche sich in Gänze dem Thema „Himbeere“ widmen. Mit großer Leidenschaft und seinem unverwechselbaren Feinsinn für Aromen und der idealen Balance aus Süße, Säure und Üppigkeit unterlegt er die Beere (aus der Familie der Rosengewächse) mit verschiedenen Aromen-Teppichen. Er kombiniert sie mit Pistazie und formt ein hauchdünnes Röllchen daraus, umgibt sie mit intensiver Guanaja-Schokolade oder mit Butterkeks-Creme und Verbene-Sud. Jede Kreation ein Lehrstück und zum Verrücktwerden gut.
Auch die Friandises, welche in puncto handwerklicher Präzision und Auswahl (serviert + Auswahl vom Wagen) wohl lange und erfolglos nach Ihres Gleichen suchen, sind nicht von dieser Welt. Die kleinen Miniaturkunstwerke schließen ein herausragendes Menü ab, welches uns (exakt 2 Jahre später nach unserem letzten Besuch) deutlich leichter und eine Spur kosmologischer vorkam.
Vielleicht mag das am Gemüsegang mit indischer Akzentuierung oder der zwei, bemerkenswert mediterranen Gerichte liegen. Natürlich handelt es sich auch nur um eine Momentaufnahme. Diese zeigt uns aber auch, dass die Küche - trotz Ihrer Konstanz auf Weltklasse-Niveau – unter Lumpp auch nach 30 Jahren noch kleine, feine Wandlungen und Twists erfährt. Sich Tradition und Wandel auf die Fahne zuschreiben ist das eine, diese aus tiefster Überzeugung zu leben, das andere. Wir wurden wieder euphorischer Zeuge und können unseren nächsten Besuch schon jetzt kaum noch erwarten. Bis bald!
Claus-Peter Lumpp, Thomas Brandt, Teoman Mezda und Stefan Leitner: Jeder ein Meister seines Fachs.
Fazit
Schlaraffenland, Sehnsuchtsort und wohl einer der sichersten Bänke in Deutschlands kulinarischer Speerspitze und darüber hinaus. Das Restaurant Bareiss, in Baiersbronn-Mitteltal ist all das und noch viel mehr.
Restaurant Bareiss
Text, Fotos © les-etoiles.de
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